Kinder ungenügend vor sexuellem Missbrauch, Mobbing oder Kinderpornografie geschützt
Im Januar 2010 machte eine Rechtsanwältin Vergehen am katholischen Berliner Canisius-Kolleg bekannt, die die Öffentlichkeit erschütterten. Wie sich in der späteren Aufarbeitung bestätigte, hatten Mitglieder des Ordens in den 1970er- und 80er-Jahren Schüler sexuell missbraucht. 205 Meldungen hatte es anfangs direkt beim Kolleg gegeben. Nach und nach meldeten sich bundesweit zahlreiche weitere Opfer.
Seitdem hat sich viel getan. Es gibt heute eine ehrenamtlich arbeitende Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs, die dem Missbrauch in Institutionen und im familiären Kontext in Deutschland nachgeht. Die Bilanz der Kommission vor einem Jahr: Seit der Gründung im Mai 2016 hatten sich knapp 1700 Betroffene gemeldet. Es wurden rund 900 vertrauliche Anhörungen durchgeführt und 300 schriftliche Berichte ausgewertet.
Erschrocken über Gelassenheit in Teilen der Gesellschaft
Es gibt mittlerweile aber auch zahlreiche Hilfeportale bundesweit, wo sich Betroffene melden und Unterstützung erhalten können. Und es gibt einen Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM), eingesetzt von der Bundesregierung. Der Missbrauchsbeauftragte Johannes-Wilhelm Rörig forcierte u.a. die „Aufarbeitung Kirchen“ und die Einrichtung eines Hilfetelefons Sexueller Missbrauch (0800 2255530). Seit dessen Start 2010 wurden über 43 000 Beratungsgespräche geführt. Ein Betroffenenrat unterstützt außerdem als politisches Gremium die Arbeit des UBSKM durch Stellungnahmen zu spezifischen Themen, Beratungen (beispielsweise. der Initiative Safe Sport) oder bei der Erstellung der S3-Richtlinie zum Kinderschutz.
Trotz der Fortschritte sieht der Missbrauchsbeauftragte erheblichen Mehrbedarf: „Ich bin immer wieder erschrocken darüber, mit welcher Gelassenheit sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche von Teilen der Gesellschaft hingenommen wird.“ Tausende Kinder würden jährlich Opfer von sexuellem Missbrauch, sexuellem Mobbing, Cybergrooming (besondere Form der sexuellen Belästigung im Internet) oder Kinderpornografie, so Rörig. Missbrauchsabbildungen durchfluteten mittlerweile in Terabyte-Dimensionen das Netz. Seine Forderung deshalb: „Wir brauchen klare Ziele, verbindliche Maßnahmen und ausreichend Geld, um Missbrauch aufzudecken und Kinder endlich besser zu schützen.“
Rörig hält einen zu schließenden und zu finanzierenden Pakt gegen Missbrauch für erforderlich und er erwartet hierbei eine deutlichere Haltung der Politik. „Für mich gehören klare Forderungen, Vorgaben und finanzielle Untermauerung in jedes Parteiprogramm und in jeden Koalitionsvertrag, auf Bundes- und auf Länderebene.“
Rörig setzt auch auf den von ihm und Bundesfamilienministerin Dr. Franziska Giffey Ende 2019 ins Leben gerufenen Nationalen Rat gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen. Mit Blick auf die ungebrochen hohen Fallzahlen und die Missbräuche von Staufen, Lügde oder jetzt Bergisch-Gladbach sei völlig klar, dass tausende Kinder und Jugendliche in Deutschland nicht ausreichend vor sexueller Gewalt geschützt sind. Rörig geht von ein bis zwei betroffenen Kindern in jeder Schulklasse aus.
Quelle: UBSKM-Pessekonferenz