ICD-11 präzisiert Misshandlung und posttraumatische Belastungsstörung
Die neue Internationale Klassifikation der Krankheiten, ICD, ist in einem langjährigen offenen Prozess grundlegend überarbeitet und erweitert worden. Gab es in der bisherigen ICD-10 noch etwa 14 400 Codes, sind es im neuen System nicht weniger als 55 000. „Das heißt, es wird zunächst einmal unübersichtlicher“, räumte Professor Dr. Jörg M. Fegert von der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie am Universitätsklinikum Ulm ein.
„Es gibt diese Codes – kreuzen Sie sie an!“
Eine wesentliche Änderung ist, dass es keine spezifischen psychischen Störungen im Kindesalter mehr gibt. Stattdessen wird alles über die gesamte Lebensspanne betrachtet – laut Prof. Fegert ein „massiver Einschnitt“. So kann beispielsweise die Trennungsangststörung, die bislang als Störung des Kindesalters galt, künftig auch beim Erwachsenen diagnostiziert werden. Doch die Umstellung hat auch negative Aspekte. Zum Beispiel wird dadurch der Tatsache, „dass Kinder keine kleinen Erwachsenen sind“, noch weniger Rechnung getragen als zuvor, so Prof. Fegert. Bereits jetzt werde oft nicht wahrgenommen, dass Kinder eine eigens auf sie abgestimmte ärztliche Betreuung benötigen, die beispielsweise Entwicklungsphänomene mit einbezieht. Das könnte durch die zukünftige Herangehensweise noch schwieriger werden.
Eine der vielen Neuerungen in der ICD-11 hob der Kollege besonders hervor: Misshandlungen lassen sich in dem neuen System deutlich ausführlicher erfassen. Neben der Art der Misshandlung (z.B. sexuell, psychisch, körperlich) sind Spezifizierungen möglich in Bezug auf Art und Körperregion der Verletzung, den Täter, den Ort des Ereignisses sowie die Aktivität während der Verletzung (siehe Kasten). Durch eine gute Dokumentation lässt sich langfristig auch die Prävention verbessern, betonte Prof. Fegert. Denn wenn bekannt ist, in welchen Kontexten und durch welche Täter es gehäuft zu Übergriffen kommt, kann man gezielt gegensteuern.
Misshandlung im Detail erfassen
- Ort der Verletzung
z.B. ND74.2 (Vulva oder Vagina) - Täter-Opfer-Beziehung
z.B. XE1XE (Partner des Elternteils) - Geschlecht des Täters
z.B. XE5YG (männlich) - Kontext der Misshandlung
z.B. XE6U2 (Vergewaltigung) - Ort des Geschehens
z.B. XE7DU (Wohnung) - Aktivität während der Verletzung
z.B. XE617 (Freizeit oder Spiel)
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Therapie immer gemeinsam mit einer Bezugsperson
Behandeln lässt sich die k-PTBS wie die klassische posttraumatische Belastungsstörung mittels einer traumafokussierten kognitiven Verhaltenstherapie. Bei Kindern ist vor allem wichtig, dass nicht nur das Kind selbst eine Therapie erhält, sondern dass auch die Bezugspersonen (Eltern, Pflegeeltern etc.) involviert sind. Studien zeigen, dass positive Effekte dann nach Behandlungsende fortbestehen. „Auch nach den schlimmsten Dingen, die wir nicht ungeschehen machen können, geht das Leben weiter“, betonte Prof. Fegert. Das Ziel sei es, dass jeder ein gutes Leben führen kann – auch Traumapatienten.Quelle: 13. Pädiatrie-Update-Seminar*
* Online-Veranstaltung