Gewalt oder Gendefekt? Jede ungewöhnliche Blutung im Kindesalter gehört abgeklärt

Autor: Dorothea Ranft

Lokalisation der Hämatome sowie Alter und Verhalten des Kindes können Hinweise geben, ob Läsionen durch Gewalteinwirkungen entstanden sind. Lokalisation der Hämatome sowie Alter und Verhalten des Kindes können Hinweise geben, ob Läsionen durch Gewalteinwirkungen entstanden sind. © Gecko Studio – stock.adobe.com

Hämatome können ein sichtbares Anzeichen dafür sein, dass ein Kind körperlich misshandelt wird. Ein eindeutiges Indiz sind sie jedoch nicht. Bei verdächtigen Befunden kommt es neben Lokalisation und Alter des Kindes stark darauf an, ob die Erklärung der Bezugspersonen zum Hergang plausibel erscheinen.

Blutergüsse bei Kindern unter einem Jahr sind in den meisten Fällen nicht-unfallbedingte Läsionen oder Folgen einer schweren Gerinnungsstörung, schreibt das Autorenteam um Prof. Dr. Ralf­ Knöfler­, Medizinische Fakultät Universität Dresden. Zu anderweitig traumatischen Blutungen kommt es in dieser immobilen Altersgruppe nur selten. Beim prämobilen Kind sollte jedes Hämatom Verdacht wecken, vor allem, wenn es sich um geformte Weichteilblutungen handelt.

Anzeichen für eine angeborene Gerinnungsstörung können multilokuläre Hämorrhagien sein. Petechiale Veränderungen kommen zwar nach Misshandlung häufiger vor als nach Unfällen, aber sie deuten mitunter auch auf primäre Hämostasestörungen und Vasopathien hin. Eine wichtige Differenzialdiagnose ist in diesen Fällen das Ehlers-Danlos­-Syndrom. Bei Kindern ab dem Ende des ersten Lebensjahres bilden sich traumatisch bedingte Läsionen mit zunehmender Mobilität überwiegend an Stirn, Schienbein, Ellbogen und dem Hinterkopf. Als untypische Lokalisationen gelten Brust, Rücken, Hals, Genitalien und die hinteren Seiten der Oberschenkel.  

Nicht-akzidentelle Kopfverletzungen treten hauptsächlich bei Kindern unter drei Jahren auf – der Altersgipfel liegt zwischen zwei und fünf Monaten. Intrakranielle Läsionen mit Blutung können z. B. durch direkte Krafteinwirkung auf den Kopf ausgelöst werden (Schläge, Tritte) oder indirekt als Folge eines Schüttel­traumas (s. Kasten). Das Aufschlagen des Kopfes auf eine feste Unterlage bzw. Schütteln ist die häufigste nicht natürliche Todesursache bei Säuglingen und Kleinkindern. 
Subdurale Hämatome sind eher misshandlungsverdächtig als epidurale Hämorrhagien, die typischerweise zusammen mit Schädelfrakturen vorkommen. 

Gefährliches Schütteltrauma

Das Schütteltrauma ist eine häufige Form des gewaltsamen Schädel-Hirn-Traumas bei Neugeborenen und Säuglingen. Die unkontrollierte Kopfrotation in Zusammenspiel mit den Scherkräften verursacht diffuse Hirnparenchymschäden und beidseitige subdurale und interhemisphärische Hämorrhagien. Starke retinale Hämorrhagien können ebenfalls ein Hinweis sein.

Hirnparenchymblutungen gehen oft mit Subarachnoidalblutungen einher und sind vielfach auf Gewaltanwendung zurückzuführen. Intrakranielle Blutungen können auch bei seltenen angeborenen Stoffwechselerkrankungen wie Menkes-Syndrom oder Glutarazidurie Typ I auftreten. Die meisten hereditären Störungen der Thrombozytenfunktion lösen nur eine leichte bis mittelschwere Blutungsneigung aus, ohne lebensbedrohliche intrakranielle Beteiligung – eine Ausnahme ist die Glanzmann-Thrombasthenie. Bei schwerer Hämophilie ohne Prophylaxe reicht dagegen schon ein Bagatelltrauma für eine Hirnblutung aus. Ein Beispiel dafür ist der ausgeprägte hereditäre schwere Faktor-XIII-Mangel.

Wichtiges bei Anamnese und Labor­diagnostik

An erster Stelle steht eine detaillierte Blutungsanamnese (inkl. Familienanamnese), eventuell unter Zuhilfenahme eines speziellen Fragebogens (z. B. ped ISTH-BAT). In dieser Phase kann das Verhalten der Begleitpersonen und des Kindes selbst wichtige Hinweise geben. Bleibt nach der ärztlichen Untersuchung (Dokumentation!) die hämorrhagische Diathese unklar, sollte man Gerinnungsprobleme abklären, v. a. wenn der Verdacht einer Misshandlung im Raum steht und Begleitverletzungen fehlen – ggf. ist für das Erkennen von Letzteren eine Bildgebung nötig. 

Die orientierende Diagnostik (Stufe 1) umfasst Quickwert, aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT), Fibrinogen und Blutbild mit Leukozytendifferenzierung. Zur Stufe 2 gehört die Bestimmung des von-Willebrand-Antigens und der Gerinnungsfaktoren VIII, IX und XIII. Spätestens die Thrombozyten-Funktionsdiagnostik (Stufe 3) sollte in einem Gerinnungszentrum erfolgen. Die meisten Tests müssen mit frischem venösem Blut innerhalb weniger Stunden durchgeführt ­werden.

Quelle: Knöfler R et al. Pädiatrie 2024; 36: 20-25; doi: 10.1007/s15014-024-5491-4

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