Ärztinnen als Opfer häuslicher Gewalt: Betroffene sprechen über ihre Erlebnisse
Vom eigenen Partner verfolgt, geschlagen, missbraucht: Solche Erfahrungen kennen keine sozialen Schichten, sind nicht abhängig vom Einkommen. Dass auch Ärztinnen in gut situierten Verhältnissen Opfer von häuslicher Gewalt werden können, haben Wissenschaftler um die Allgemeinärztin Dr. Emily Donovan von der Universität Southampton erstmals systematisch untersucht. In einem Onlineforum für alleinerziehende Kolleginnen konnten sie 21 Frauen zwischen 32 Jahren und 62 Jahren gewinnen, die anschließend per Telefon über zwanghafte Kontrolle, Vergewaltigungen durch den Expartner und die Auswirkungen dieser Erlebnisse auf das private wie berufliche Leben sprachen.
Was die Forscher dabei erstaunte, war die Aussage vieler Teilnehmerinnen, sich für das Scheitern ihrer Beziehung verantwortlich zu fühlen. Einige schämten sich, weil sie die gesellschaftlichen Erwartungen an eine „starke und selbstbestimmte“ Medizinerin nicht erfüllt hätten. Andere glaubten, dass sie der Beruf selbst verwundbar gemacht oder aber abgestumpft habe. Schließlich würden Helfende stets das Beste im Menschen sehen – und so eventuell blind für die Realität.
Noch schwerer erlebten die befragten Frauen ihre Situation, wenn der gewalttätige Expartner ebenfalls Arzt war. Man musste damit rechnen, eine psychische Krankheit unterstellt zu bekommen, sogar Psychosen. Drohungen, bei der Ärztekammer gemeldet zu werden, weil man zu „gestört“ sei, um Patienten zu versorgen, gehörten genauso dazu wie Sorgerechtsfälle, in denen Kollegen für den Expartner ausgesagt hatten. Dieser sei ein wunderbarer Vater und könne seine Frau unmöglich geschlagen haben.
Angst vor Eskalation, wenn sich die Taten herumsprächen
Neben solchen drastischen Schilderungen fiel den Autoren der Studie auf, dass sich die betroffenen Ärztinnen oftmals schwertaten, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ein Grund dafür war die Erfahrung oder die Angst, ihnen würde nicht geglaubt. Nicht einmal vom eigenen Hausarzt. Als noch belastender beschrieben einige die Befürchtung, die konsultierten Kollegen könnten ihre Schweigepflicht brechen. Wenn sich die Taten des Expartners herumsprächen, würden die Feindseligkeiten nur weiter eskalieren – zulasten der Kinder.
Andere Frauen wollten der Möglichkeit aus dem Weg gehen, während einer Therapie womöglich Patientinnen zu begegnen. Manchmal spielten aber auch ganz profane Gründe eine Rolle, wenn an den häufig in der Arbeitszeit stattfindenden Behandlungsterminen nicht teilgenommen werden konnte.
Viele der Teilnehmerinnen hatten sich aufgrund der Gewalt, die sie erfahren mussten, nicht krankschreiben lassen. Und dies, obwohl sie bemerkten, dass ihnen während ihrer Tätigkeit zahlreiche Fehler unterliefen. Einige kassierten deswegen sogar Beschwerden, weil die Kollegen nicht verstanden, in welcher Stresssituation sich die Frauen befanden. Darüber hinaus fiel es manchen Ärztinnen f schwer, Opfer von häuslicher Gewalt zu behandeln. Denn diese erinnerten sie an ihre eigenen Erfahrungen – vor allem, wenn diese noch nicht lange zurücklagen.
Ein erheblicher Teil der Betroffenen kritisierte, dass Ärzte gegenüber Kolleginnen mit persönlichen Problemen häufig zu Vorurteilen neigen. Ihnen fehle beispielsweise das Verständnis für die Dienstplannöte alleinerziehender Mütter. Darunter leiden besonders Ärztinnen, die sich noch in der Weiterbildung befinden oder aufgrund der erlebten Gewaltsituation sozial isoliert sind. Allerdings fühlte sich auch ein Teil der Frauen, insbesondere Fachärztinnen, von ihren Teams sehr gut unterstützt. Manche gaben an, dass sie seit Bewältigung der eigenen Stresssituation mehr Empathie für Opfer häuslicher Gewalt empfinden.
Positive Erfahrungen mit Selbsthilfegruppen
Als hilfreich empfanden die interviewten Ärztinnen die Unterstützung in Selbsthilfegruppen wie dem genannten Onlineforum. Darin erfuhren viele zum ersten Mal, dass sie mit ihren Gewalterfahrungen nicht allein sind, und konnten so ihre Isolation überwinden. Auch eine professionelle Beratung erwies sich für die Opfer als nützlich, wenn dabei die Schweigepflicht garantiert war.
Quelle: Donovan E et al. Br J Gen Pract 2021; 71: e193-e200; DOI: 10.3399/BJGP.2020.0795