Gewalt in der Praxis KBV-Chef macht Druck beim Justizminister

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

80 % der 7.580 Befragten Fachkräfte haben bereits Beschimpfungen, Beleidigungen oder Drohungen erlebt. 80 % der 7.580 Befragten Fachkräfte haben bereits Beschimpfungen, Beleidigungen oder Drohungen erlebt. © Doodeez – stock.adobe.com

Verbale und körperliche Übergriffe auf Ärztinnen und Ärzte, Pflegende, Rettungskräfte und andere Angehörige von Gesundheitsberufen sind Alltag geworden in Deutschland. Das zeigt auch eine Umfrage der KBV. Der Bundesjustizminister prüft gesetzliche Verschärfungen. Der Schutz der Niedergelassenen fehlt jedoch bisher.

Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann (FDP) will angesichts von immer mehr und gewalttätigeren Übergriffen Vollstreckungsbeamte wie Polizistinnen und Polizisten, aber etwa auch Hilfeleistende der Feuerwehr, des Katastrophenschutzes, eines Rettungsdienstes, eines ärztlichen Notdienstes oder einer Notaufnahme besser schützen. Zumindest sollen mit einer Änderung des Strafgesetzbuches potenzielle Täter durch mögliche Freiheitsstrafen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren von Aktivitäten abgehalten werden. Der Personenkreis der Betroffenen ist jedoch viel breiter zu fassen, wie eine aktuelle Umfrage unter Praxisteams verdeutlicht.

„Das Auftreten der Patienten meinen Angestellten und mir gegenüber hat sich sehr negativ verändert. Forderungsverhalten, Anspruchsdenken, Aggression und Zwischenmenschlichkeit sind deutlich verschlechtert.“

Von Mitte August bis Anfang September 2024 hat die KBV 7.580 ambulant tätige medizinische Fachkräfte, davon 46 % Ärztinnen und Ärzte, 9 % Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sowie 41 % MFA zu Gewalterfahrungen bei der Ausübung ihrer Tätigkeit befragt. Das Fazit:

  • 80 % erlebten 2023  in der Praxis, am Telefon oder online Beschimpfungen, Beleidigungen oder Drohungen, häufig sogar mehrfach (siehe Zitate). 
  • 14 % schalteten die Polizei ein bzw. erstatteten Anzeige.
  • 43 % der Befragten erfuhren in den vergangenen fünf Jahren auch körperliche Gewalt bei der Ausübung ihrer Tätigkeit. 2023 wurden 60 % Opfer von Tritten gegen das Schienbein, Schubsen und Spucken oder auch schwerer Angriffe.
  • Ein Drittel der Praxen hat mittlerweile vorgesorgt, ein Notrufsystem installieren lassen, durch Umbauten Fluchtwege geschaffen oder das Personal geschult, u.a. in Deeskalationstrainings.

„Fordernde und schimpfende Patienten sind Alltag. Es kommen jedoch häufig persönliche Beleidigungen dazu, die man selber je nach eigener Tagesform unterschiedlich stark empfindet. Man darf jedoch nicht vergessen zu erwähnen, dass es gleichzeitig auch großzügige verständnisvolle Patienten gibt.“

„Die Hemmschwelle im zwischenmenschlichen Umgang nimmt immer mehr ab und wir, als Personal einer Praxis, fühlen uns häufiger als Mensch zweiter Klasse oder Fußabtreter.“

„Die Gewaltbereitschaft wird immer größer. Vor allem, sobald nicht alles läuft, wie die Patienten es sich vorstellen. Oft gibt es dann Aussagen wie ‚Schlampe‘ oder auch ‚ich warte heute Abend draußen auf Dich – halt die Augen auf‘, ‚ich komme gleich vorbei und dann siehst Du, was Du davon hast‘ etc. Das zehrt sehr an den Nerven der MFA, die es ja in den meisten Fällen abbekommen.“

KBV: „Die Verrohung der Sitten ist erschreckend“

Die Umfrage wurde in der jüngsten Vertreterversammlung vorgestellt. KBV-Vorstandsvorsitzender Dr. Andreas Gassen kommentierte die Umfrageergebnisse: „Die Verrohung der Sitten ist erschreckend. Ein gesamtgesellschaftlicher Werteverfall trifft auf ein überlastetes und kaputt gespartes Gesundheitssystem.“ Schuld gibt Dr. Gassen auch Politik und Krankenkassen, die bei Patientinnen und Patienten zu hohe Ansprüche wecken würden nach dem Motto „Geht zum Arzt, da bekommt ihr alles und das sofort“.

„Die verbalen Entgleisungen und die Anspruchshaltung der Patienten haben zugenommen. Wir arbeiten am Limit und werden trotzdem regelmäßig angegangen und die MFA müssen sich oft Unverschämtheiten gefallen lassen.“

Der KBV-Chef drängt den Minister zum Handeln durch „Unterstützung der Verschärfung des Strafrechts zum Schutz von Ärztinnen, Ärzten, Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sowie des Praxispersonals“. Ihre Forderungen unterstrich die Vertretung der Ärzteschaft durch eine Resolution. Darin heißt es: „Die zuständigen Behörden sollen sicherstellen, dass betroffene Ärzte, Psychotherapeuten und Praxismitarbeitende nach einem Gewaltvorfall umfassende Unterstützung erhalten. Dies umfasse psychologische Betreuung, rechtliche Beratung und den notwendigen Schutz vor weiteren Übergriffen.“ 

Praxen ergreifen präventive Maßnahmen

  • Installation von Notfallknopf und Notrufsystem (Codewort, Smartwatch, Polizei, Praxisinhaber) 
  • Personalschulung und -sensibilisierung (Teambesprechungen, Verhaltensregeln, Ablaufplan)
  • Gewaltpräventions- und Selbstverteidigungsseminare
  • Hausverbot und -verweis für „auffällige“ Patienten 
  • Räumliche Umbauten: Trennscheibe am Tresen, Fluchtwege fürs Praxispersonal
  • Pfefferspray vor Ort
  • Entfernen und Sichern von potenziell gefährlichen Gegenständen (z.B. Vase, Schere, Brieföffner) 
  • Installation von Videoüberwachung und Alarmanlage 
  • Doppelbesetzungen in der Praxis

Manche Praxen würden inzwischen so weit gehen, potenziell gefährliche Gegenstände wie Vasen, Scheren oder Brieföffner zu entfernen (siehe Kasten). „Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann doch nicht die Lösung sein!“, stellte Dr. Gassen klar.

Quelle: KBV-Vertreterversammlung