„Lassen Sie die Profis machen!“ KBV wünscht sich von der nächsten Bundesregierung mehr Beinfreiheit für die Selbstverwaltung

Gesundheitspolitik Autor: Michael Reischmann

Zur dürren gesundheitspolitischen Leistungsbilanz der Ampel-Regierung zählt KBV-Chef Dr. Andreas Gassen „ein teures Krankenhausgesetz“, Cannabis und die „Volks-ePA, die mehr Fragen als Antworten aufwirft“. Zur dürren gesundheitspolitischen Leistungsbilanz der Ampel-Regierung zählt KBV-Chef Dr. Andreas Gassen „ein teures Krankenhausgesetz“, Cannabis und die „Volks-ePA, die mehr Fragen als Antworten aufwirft“. © Achim Wagner – stock.adobe.com

Die Diagnosen, die der Mediziner und Minister Prof. Karl Lauterbach zum Reformbedarf im Gesundheitswesen gestellt hat, passen durchaus. Aber seine Therapiepläne waren schlecht. Das findet der KBV-Vorstand. Er trauert deshalb nur wenigen Regelungen hinterher, denen das Ampel-Aus in die Quere kam. Die nächste Bundesregierung, so hofft man, wird mehr auf die Selbstverwaltung setzen.

KBV-Vorstandsmitglied Dr. ­Sibylle Steiner nannte bei der „Nikolaus“-Vertreterversammlung (VV) der KBV beispielhaft einen Kelch der Lauterbachschen Gesetzesschänke, der dank des Zerfalls der rot-grün-gelben Regierung an den Niedergelassenen wirkungslos vor­übergeht – und künftig auch nicht mehr angepackt werden sollte: Das Gesundheits-Digital­Agentur-Gesetz sah Vergaberegeln für Online­termine der Praxen vor – „bis hin zu Obergrenzen bei der Onlineterminvergabe und Mindestvorgaben zur telefonischen Erreichbarkeit“. Laut Dr. Steiner hat sich der GKV-Spitzenverband „hierauf sogar schon vorbereitet“. Das wäre jedoch ein nicht hinnehmbarer Eingriff in den Betrieb der rund 100.000 Haus- und Facharztpraxen geworden.

Zur dürren gesundheitspolitischen Leistungsbilanz der Ampel-Regierung zählt KBV-Chef Dr. Andreas Gassen „ein teures Krankenhausgesetz“, Cannabis und die „Volks-ePA, die mehr Fragen als Antworten aufwirft“. Dr. Gassen wirft Prof. Lauterbach „Wortbruch“ vor: Die Entbudgetierung der Kinderärztinnen und -ärzte habe gezeigt, wie einfach dieser Schritt auch beim hausärztlichen Honorar gewesen wäre, wenn der Minister dies wirklich gewollt hätte. Die letzte Chance, noch etwas umzusetzen, sei ein „Lumpensammlergesetz“. Stichtag ist der 20. Dezember: „Gesetzentwürfe, die bis dahin nicht im Parlament abgestimmt sind, werden in dieser Legislatur nicht mehr kommen“, erklärt Dr. Gassen das sog. Diskontinuitätsprinzip. Dem falle die Notfallreform nun zum zweiten Mal zum Opfer.

Dr. Gassen hofft, „dass es gelingt, die zurückliegenden drei Jahre ohne allzu großen Flurschaden in der Versorgung noch abzuschließen“. Die Klinikreform „dürfte wegen der vielen handwerklichen Fehler, juristischer Probleme und unveränderter Dissense eine Generalüberholung durch die nächste Regierung erfahren“, meint der KBV-Chef. Mit einer neuen Bundesregierung brauche es einen kompletten Neustart in der Gesundheitsgesetzgebung. 

Praxen, Apotheken und Kliniken im Protest vereint

Dabei wäre es „sträflich und unklug, die Kompetenz und den Sachverstand der Selbstverwaltung zu ignorieren oder gar als Lobbyismus zu desavouieren“, warnt Dr. Gassen. Ironisch verweist er darauf, dass es Prof. Lauterbach immerhin gelungen sei, Akteure im Gesundheitswesen zu einen – KBV, KZBV und ABDA sowie zuletzt noch die Deutsche Krankenhausgesellschaft rückten gemeinsam im Protest zusammen. Vorstandskollegin Dr. Steiner formuliert es so: „Wir fordern Evidenz statt Eminenz. Wir fordern einen neuen gemeinsamen Pakt für die Selbstverwaltung. An die Politik gerichtet sage ich: Lassen Sie die Profis machen!“

Was sich das KV-System von der nächsten Bundesregierung wünscht, ist schon aufgeschrieben. KBV-Vize Dr. Stephan Hofmeister fällt allerdings auf: „Man hat uns die Begriffe gestohlen.“ Der Politik sei es gelungen, Begriffe wie „Ambulantisierung“ umzudeuten in „Öffnung der Krankenhäuser zu ungleichen Konditionen“ (gegenüber den Niedergelassenen). 

Die KBV zeigt jedenfalls in einem von der VV verbschiedeten Positionspapier wenig Geduld: Schon innerhalb der ersten 100 Tage habe die nächste Bundesregierung die Budgetgrenzen für alle ambulant tätigen Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und -therapeuten abzuschaffen. Jede ausreichende, zweckmäßige, wirtschaftliche und notwendige medizinische Leistung sei vollständig zu vergüten – inklusive eines vollumfänglichen Ausgleichs von Kostensteigerungen und Inflation.

Damit das und Weiteres von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werden kann, fordert die KBV ebenfalls innerhalb der ersten 100 Regierungstage eine Analyse der GKV-Finanzen. Anschließend könne mit allen Beteiligten der Selbstverwaltung ein runder Tisch zur Priorisierung der Mittelverwendung stattfinden. Die GKV sei von der Beitragsfinanzierung versicherungsfremder Leistungen zu entlasten.

Der KBV-Vorstand äußert sich zwar froh darüber, dass viele der Lauterbachschen Vorhaben vom Tisch sind, ruft aber zugleich nach weiteren Gesetzen: Innerhalb ihrer ersten 100 Tage soll die neue Bundesregierung ein Bürokratieentlas­tungsgesetz umsetzen sowie mit der KBV Eckpunkte für ein Praxiszukunftsgesetz analog dem Krankenhauszukunftsgesetz erarbeiten, mit dem die Digitalisierung und Modernisierung der Praxen gefördert wird. Zur Entbürokratisierung zählt Dr. Steiner auch die Einführung von Bagatellgrenzen bei allen Wirtschaftlichkeitsprüfungen: „Regresse und Sanktionen müssen weg!“

KBV-Kampagne fürs „Praxenland“

Mit TV-Spots, Plakaten sowie Anzeigen in Print- und Online-Medien machen KBV und KVen unter dem Motto „Wir sind für Sie nah“ die Öffentlichkeit „auf die zugespitzte Lage der Praxen“ aufmerksam. „Was jetzt politisch getan werden muss“, ist auf der Website rettet-die-praxen.de zusammengefasst. Die Kampagne wird laut KBV-Chef Dr. Andreas Gassen inhaltlich angepasst. „Wir wollen die Einzigartigkeit der ambulanten Versorgung in Deutschland herausstellen, und zwar unter der Überschrift ,Praxenland‘.“ „Praxenland“ stehe für verlässliche, nachhaltige Strukturen. In den ärztlichen und psychotherapeutischen Praxen seien 734.000 Menschen beschäftigt.

Wie gut laufen die ePA-Module in den Testregionen?

Zudem müsse die Gematik dazu befähigt werden, quantitative und qualitative Vorgaben für Anwendungen, Dienste und Komponenten der Telematikinfrastruktur (TI) und für Praxisverwaltungssysteme (PVS) zu machen und durchzusetzen. Denn es werde eine störungsfreie und stabile TI benötigt, angesichts des größten Digitalprojekts des deutschen Gesundheitswesens – der bundesweiten Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA). 

Die erfolgt nach der Mitte Januar beginnenden Erprobungsphase. Gespannt ist man bei der KBV, wie die ePA-Module in den unterschiedlichen PVS in den Modellregionen „im Echtbetrieb performen“. Über den Zeitpunkt des bundesweiten Starts der „ePA für alle“, die nicht bei ihrer Krankenkasse widersprochen haben, will Prof. Lauterbach persönlich entscheiden. Erst ab dem bundesweiten Roll-out sind die Praxen verpflichtet, ePA-Module in ihren PVS vorzuhalten, um die vorgeschriebenen Kürzungen bei TI-Pauschale und Honorar zu vermeiden, so Dr. Steiner. Das habe das BMG der KBV schriftlich bestätigt.

Quelle: KBV-Vertreterversammlung