Ärzte Codex als Schutzkonzept gegen wirtschaftliche Übergriffe
In der Pandemie sei mehr denn je deutlich geworden sei, welche relevanten strukturellen Mängel im Gesundheitssystem vorliegen würden und verbessert werden müssen. Mit diesen Worten leitete Professor Dr. Petra-Maria Schumm-Draeger, Vorstandsmitglied der DGIM, ihren Vortrag zu Entwicklung, Zielsetzung und Erfolge des Ärzte Codex auf dem 127. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin ein.
Seit 2017 diskutiere man nun zu diesem Thema, damals wurde der Ärzte Codex etabliert. Seitdem habe man zwar einige Erfolge zu verzeichnen, doch die Veränderungen seien bisher in keiner Weise vollzogen. Weiterhin stehe die Ärzteschaft unter dem Druck, ihr Handeln einer betriebswirtschaftlichen Nutzenoptimierung unterzuordnen.
Ein großes Problem seien die Fehlanreize durch die Einführung der DRG. Über die Jahre sei es zwar zu einer signifikanten Erhöhung der Fallzahl gekommen, gleichzeitig sei aber eine Beschleunigung des Durchsatzes in den Kliniken aufgrund der verkürzten Verweildauer bei gleicher Bettenauslastung eingetreten.
Verschärfte Situation für 2021 erwartet
Die Zahl der Krankenhäuser, die zunehmend in eine betriebswirtschaftlich nicht mehr ausgeglichene Situation laufen, sei extrem gestiegen. In Bayern beispielsweise würden den Prognosen zufolge 2020 über 60 % der Krankenhäuser dazu gehören. Für das aktuelle Jahr rechne man mit einer Verschärfung der Situation. Grund dafür sei eben „die strukturelle Problematik in der Krankenhausfinanzierung und insgesamt in unserem Gesundheitswesen im stationären wie auch im ambulanten Bereich“. Diese Problematik gelte es dringend zu verbessern und zu lösen, fasste es Prof. Schumm-Dräger zusammen.
Bundesärztekammer-Präsident Dr. Klaus Reinhardt unterstrich, dass das Besondere am Ärzte Codex seine klare Abgrenzung zum Thema Kommerzialisierung und Ökonomisierung in der Medizin sei. Dabei müsse man sich der Ökonomie als solcher durchaus konstruktiv zuwenden. Problematisch sei Kommerzialisierung, wenn statt dem rationalen Umgang mit Ressourcen der Profit im Vordergrund stünde.
Das Gesundheitswesen als Anlagemarkt
Die Gefährdung unabhängigen ärztlichen Handels in den Krankenhäusern sei insbesondere an zwei Stellen wahrnehmbar: Bei der Krankenhausfinanzierung und beim Produktivitätsdruck aufgrund des ungezügelten Wettbewerbs der Krankenhäuser untereinander.
Ein weiterer Kommerztreiber ließe sich bei den privaten Investoren im Bereich der ambulanten Medizin ausmachen. Besonders dort, wo sich über das Anstellen von Personal betriebswirtschaftliche Hebelungen erreichen lassen – also etwa bei der Labormedizin, der Radiologie oder bei mechanistischen Abläufen mit einem großen Maß an Planungssicherheit –, erlebe man, wie das Gesundheitswesen als Anlagemarkt fungiert. Elf Milliarden Euro wurden hier allein 2017 investiert, 15 % der MVZ in der Humanmedizin und 23 % in der Zahnmedizin sind branchenfremd.
In diesem Zusammenhang könne man beobachten, so Dr. Reinhardt, dass Ärztinnen und Ärzte nicht nur unter Renditedruck gesetzt würden, es würde ihnen sogar nahegelegt, bestimmte Prozeduren häufiger oder eben weniger häufig auszuführen. Dieser Entwicklung müsse der Berufsstand etwas entgegensetzen.
Im Dialog mit dem Minister sei hier „nicht immer auf Verständnis zu hoffen“. Im Ministerium habe sich offenbar die Meinung breit gemacht, nur über solche Investitionen ließe sich die Versorgung bestimmter Regionen sicherstellen bzw. seien hochinvestive ärztliche Tätigkeiten machbar.
Die Bundesärztekammer hat zu dieser Problematik Eckpunkte erarbeitet, die – würden sie in Gesetze umgesetzt – helfen könnten, zumindest die Auswüchse von Private-Equity-Kapital zu begrenzen. Dabei geht es darum, eine Marktbeherrschung durch Private-Equity-Investitionen zu verhindern, die Ausdehnung solcher Strukturen zu begrenzen, das Angebot ausschließlich besonders gewinnträchtige Leistungen zu verhindern, über ein Register Transparenz zur Trägerschaft herzustellen und Gewinnabführungsverträge zu verbieten.
Dr. Reinhardt betont: „Wir brauchen auf jeden Fall eine Art Schutzkonzept für die Kolleginnen und Kollegen, damit diese sich erfolgreich und mit einer gewissen Sicherheit gegen wirtschaftliche Übergriffe der Ökonomie und des Kommerzes wehren können.“ Deswegen sei es so wichtig, wenn Verbände wie die DGIM und auch die Ärztekammern die Kollegen ideell und auch materiell unterstützen.
Ärzte Codex - Medizin vor Ökonomie
- eine berufsethische Basis für Internisten und Vertreter anderer medizinischer Fächer und Berufsgruppen zu etablieren,
- die Ärzteschaft zu unterstützen, im Einklang mit ethischen Werten zu handeln und dem Vertrauen ihrer Patienten gerecht zu werden,
- Ärztinnen und Ärzten eine Sicherheit zu vermitteln, dass sie mit ihrer sich am Ärzte Codex orientierenden Haltung nicht alleine stehen und
- eine professionelle Medizin-ethisch basierte Unterstützung seitens der Fachgesellschaft zu garantieren.
Junge Ärzte ebenfalls betroffen
Auch die Europäische Föderation Innere Medizin (EFIM) unterstützt die Initiative. Gemeinsam mit der EFIM ist jetzt eine Verbreitung des Ärzte Codex in den europäischen Ländern geplant. Die betriebswirtschaftliche Nutzenoptimierung betrifft natürlich auch die jungen Ärzte, so Dr. Matthias Raspe von der Charité Berlin und Sprecher der Jungen Internisten der DGIM. Sie berichten von zu wenig Zeit für Teaching, Weiterbildung und Supervision durch den DRG-Kostendruck und die damit einhergehende Arbeitsverdichtung, von zu wenig Zeit für eine differenzierte Betrachtung der Patienten und von Frustration darüber, dass es in ihrer Tätigkeit in erster Linie um Zahlen geht. Von der Generation Y würden heute mehr als 60 % über 49 Stunden arbeiten, fast genauso viele sehen sich häufig überlastet und verzichten häufiger auf Pausen. Und quasi drei Viertel der Befragten sagen, sie müssten mehr auf ihre Gesundheit achten. Eine Folge der Belastung sei nicht nur eine drohende „Burn-out-Pandemie“ unter Ärzten, sondern auch eine „Moral Injury“, die besonders junge Ärzte betreffe, wenn sie mit großen Zielen ihr Studium angetreten haben und dann merken müssen, dass nach ganz anderen Kriterien behandelt wird. „Man kann sich fragen, warum das System eigentlich noch so gut funktioniert“, so Dr. Raspe und zitiert einen Titel der New York Times: Das Geschäft mit der Gesundheit beruhe auf der Ausbeutung der Ärzte und Pflegenden. Betriebliches Gesundheitsmanagement interessiere nicht, solange die Menschen an der Front aufgrund ihrer ethischen Überzeugung nicht weglaufen, wenn die Arbeitszeit vorbei ist. Der Ärzte Codex soll auch speziell junge Ärztinnen und Ärzte dazu ermutigen, sich „mit den durch die kaufmännischen Geschäftsleitungen vorgegebenen wirtschaftlichen Vorgaben kritisch auseinanderzusetzen“. Dr. Raspe wünscht sich außerdem noch mehr intra- und interpersonelle Solidarität, mehr Forschung zum Thema, mehr konstruktive Lösungsvorschlägen und mehr Mut, sich aktiv einzumischen. Der ärztliche Beruf sei schließlich ein freier.Kongressbericht: DGIM 2021