Wissenschaftsleugnung in der COVID-19-Pandemie
In der COVID-19-Pandemie werden wissenschaftliche Erkenntnisse politisch instrumentalisiert. Das diskutierte am Beispiel des „Aufstiegs und Falls von Hydroxychloroquin“ Till Koch, Internist am UKE Hamburg, im Rahmen des Forums Junge Internisten auf dem 137. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin.
Das Chinin-Derivat Hydroxychloroquin hatte im März 2020 aufgrund einer In-Vitro-Studie Hoffnungen geweckt, sich als wirksames Mittel zur Behandlung von COVID-19-Patienten erweisen zu können. Auch die darauffolgenden Ergebnisse einer klinischen In-vivo-Studie des französischen Mikrobiologen Didier Raoult sollten auf eine Senkung der Viruslast nach Behandlung mit Hydroxychloroquin hinweisen. Durchgeführt hatte er die Untersuchung allerdings lediglich an zwanzig leicht erkrankten Patienten, ohne Kontrollgruppe und nicht randomisiert. Kritiker warfen ihm auch vor, mögliche Nebenwirkungen zu verschweigen.
Ungeachtet der deutlichen Kritik an der Studie erreichte Raoult über umfangreiche Medienarbeit z.B. in YouTube und sozialen Netzwerken millionenfache Aufmerksamkeit. Besonders die Rechte in Frankreich feierte ihn, der verkündet hatte, er könne COVID-19 heilen. Auch in Amerika erreichte Hydroxychloroquin eine große Medienaufmerksamkeit - unter anderem weil Tesla-Gründer Musk seinen 50 Millionen Followern auf Twitter eine direkte Empfehlung mit auf den Weg gab, sich doch eine in den USA erschienene Veröffentlichung dazu anzuschauen.
FDA erteilte Notzulassung - und muss schnell wieder zurückrudern
Großartig fand auch der damalige US-Präsident Donald Trump diese Veröffentlichung: Die Studie sei „sehr, sehr, sehr ermutigend“ gewesen. Die Begeisterung für die einfache Lösung schaukelte sich zwischen rechten Politikern weltweit hoch. Kurz darauf sprach die US-amerikanische Zulassungsbehörde Food and Drug Administration (FDA) eine vorübergehende Notfallzulassung aus, andere Länder folgten, ungeachtet dessen, dass die folgenden Studien keinen Benefit mehr nachweisen konnten und die Skepsis gegen das MIttel weiter wuchs. Drei Monate nach dem großen Durchbruch, im Juni 2020, musste die FDA die Authorisation bereits wieder zurückziehen. Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) warnt seit Anfang Juni vor den Risiken bei Anwendung von Hydroxychloroquin und Chloroquin zur Behandlung von COVID-19.
Die wissenschaftliche Leugnung bestand in diesem Fall darin, so Koch, dass das Mittel zu einem Zeitpunkt, als die wissenschaftlichen Erkenntnisse es schon längst nicht mehr erlaubten, als Lösung der beginnenden dramatischen politischen COVID-19-Krise in den USA instrumentalisiert wurde. Das Problem von Wissenschaftsleugnung im Rahmen der COVID-19-Pandemie sei, so Koch, der enorme Handlungsdruck, Evidenz generieren zu müssen. Dieser Druck könne sich in Retractions von Papers, wie es bei der Betrachtung von Hydroxychloroquin passiert sei, oder auch in inkonsistenten Empfehlungen, wie etwa im Zusammenhang mit AstraZeneca-Impfstoff geschehen, äußern.
Gleichzeitig sei in der Pandemie „der Maschinenraum der Wissenschaft“ gläsern geworden, die ganze Gesellschaft diskutiere mit über die Wissenschaft. Dazu seien die Fragen, die in der COVID-19-Pandemie diskutiert werden, nicht rein wissenschaftlich, sondern „socioscientific issues“, also gesellschaftspolitisch-wissenschaftlich.
Unsichere Evidenzgewinnung und politische Dimension sind Nährboden
Die unsichere Evidenzgewinnung bei gleichzeitiger politischer Dimension des Problems sei ein Nährboden für Wissenschaftsleugnung, Desinformation und Fakenews. „Wissenschaftsleugnung tritt aber nicht einfach so auf. Sie verfolgt das Ziel der strategischen Beeinflussung politischer Konflikte“, so der Internist. Vorangetrieben werde das durch Akteure, die bestimmte Interessen verfolgen.
Eine simple Richtigstellung unrichtiger Behauptungen sei als Gegenmaßnahme nicht ausreichend. Entsprechende Forschungen beschäftigten sich mit dem Problem, dass falsche Informationen einen anhaltendeten Einfluss haben: „Fake-Information bleiben kleben.“
Als Gegenstrategie müsse man gegen die Falschinformation „impfen“: Dazu gehöre, Inhalte richtig zu stellen, ohne die Falschinformation unnötig weiter im Gespräch zu halten. Wichtig sei auch, typische Mechanismen von Wissenschaftsleugnung zu benennen, wie etwa das sich Berufen auf Pseudo-Experten, der Aufbau von unerfüllbaren Erwartungen und das Verbreiten von Verschwörungsmythen. In diesem Zusammenhang müsse man Ross und Reiter nennen: Wer sind die Akteure bei der Verbreitung der Falschinformationen? Welchen Quellen kann man vertrauen?
„Wissenschaft war schon immer politisch“
Anerkannt werden müsse, dass Wissenschaft politisch ist und es auch schon immer war. Die Entscheidung darüber, wer forscht, was geforscht wird und wer wird beforscht, seien politische, gesellschaftliche Entscheidungen.
Genauso müssten grundlegende Probleme der Wissenschaft erkannt, thematisiert und angegangen werden. Dazu gehörten zum Beispiel der Mangel an Ressourcen zur Erforschung und Bekämpfung von Infektionserkrankungen, aber auch eine mangelnde Repräsentation von zum Beispiel Frauen und People of Colour in der Wissenschaft.
Der Internist unterstreicht: „Wir müssen Position beziehen, insbesondere in der COVID-19-Pandemie als socioscientific issue.“ Es werde schlicht nicht funktionieren, sich nur zu wünschen, dass Bildzeitung und Trump aufhören, wissenschaftliche Erkenntnisse für ihre Zwecke zu instrumentalisieren und alles wieder so apolitisch wird, wie es vorher vermeintlich war.
Kongressbericht: DGIM 2021