Pandemieforschung „Wäre das Ebola gewesen, wären wir ausgestorben“
Das politische Management der Coronakrise sei „miserabel“ gewesen, bekundeten einige Experten aus Medizin, Wissenschaft und Selbstverwaltung bei einer Veranstaltung des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi). „Wenn das Ebola gewesen wäre, wäre Deutschland ausgestorben“, meinte etwa Professor Dr. Wolfgang Hoffmann, Leiter des Instituts für Community Medicine an der Universität Greifswald.
An vielen Stellen sei der Versuch, eine bessere Datenlage zu schaffen, daran gescheitert, dass an bestehenden Abläufen festgehalten worden sei. Beispielsweise hätte man für Forschungsprojekte kurzfristig die „nationale Kohorte“ der NAKO-Gesundheitsstudie mobilisieren können – dies sei allerdings nicht gefördert worden. Im Fall künftiger Pandemien müssten daher sowohl Forschungsmittel als auch die entsprechenden Erlaubnisse schnell erteilt werden, folgerte der Experte. In einer Pandemie brauche man die Möglichkeit, unter Evaluation von bestehenden Gesetzlichkeiten abzuweichen. „Wir mussten wirklich zivilen Ungehorsam an den Tag legen, damit wir überhaupt ein Pandemie-Management machen konnten.“
Franz Knieps, Vorstand des BKK-Dachverbands und zu Zeiten von Ulla Schmidt Abteilungsleiter im Bundesministerium für Gesundheit, unterstrich diese Forderungen. „Im 21. Jahrhundert müsste alles erlaubt sein, was nicht ausdrücklich verboten ist“, so der Jurist. Das Gesundheitssystem sei zu komplex, um es bis ins letzte Detail zu regulieren.
Über Rufnummer 116 117 Krankheitslast analysieren
Die Vorsitzende der KV Schleswig-Holstein, Dr. Monika Schliffke, hätte sich seitens der Politik eine stärkere Einbindung der KVen gewünscht. Nach Ausbruch der Pandemie habe die Landesregierung die Körperschaft kaum auf dem Schirm gehabt. Stattdessen habe man anfangs geplant, sich etwa an den Hausärzteverband und andere Facharztverbände zu wenden.
Um die Krankheitslast in der Bevölkerung künftig aktueller abzubilden, bestehen seitens des Zi einige Ansätze, führte der Vorstandsvorsitzende Dr. Dominik von Stillfried aus. Beispielsweise analysiert das Institut derzeit, mit welchen Beschwerden sich welche Altersgruppen im Verlauf der Pandemie an die Rufnummer 116 117 wandten. Anders als die quartalsweise erhobenen Abrechnungsdaten der KVen könnten solche Auswertungen recht zeitnah einen Einblick in die Krankheitsentwicklung in der Bevölkerung geben. Das perspektivische Ziel sind Echtzeitdaten. Zudem sollten fortlaufende bevölkerungsbezogene Erhebungen zur Krankheits- und Versorgungslage implementiert werden, so Dr. von Stillfried. Auch Veränderungen wichtiger Versorgungsindikatoren sollten transparent gemacht werden.
Daten der Patienten auf Intensivstationen erheben?
Ein solcher Indikator ist beispielsweise die Zahl der verfügbaren Intensivbetten. Um diese zu erfassen, entwickelte die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) gemeinsam mit dem Robert Koch-Institut während der Pandemie eigens ein Register. „Künftig müssen wir auch patientenindividuelle Daten erheben, um die Nutzung dieser Kapazitäten besser zu verstehen“, forderte Professor Dr. Christian Karagiannidis, wissenschaftlicher Leiter des DIVI-Registers.
Derzeit zeige das Projekt vor allem, dass die Zahl der Intensivbetten rapide sinke – um rund 3.000 in den letzten Monaten. Der Grund dafür sei der sich verschlimmernde Personalmangel in der Pflege. „Die Stimmung auf den Stationen ist ausgesprochen schlecht, egal mit wem sie sprechen“, berichtete der Intensivmediziner. Gleichzeitig seien die Intensivstationen so stark ausgelastet wie sonst nie im Sommer. „Das ist eine neue Qualität.“ Wenn im Herbst nicht eine Impfquote von mindestens 80 % erreicht sei, werde es eng.
Medical-Tribune-Bericht