Homöopathie ist keine Naturheilkunde – Irreführende Werbung sorgt für falsche Vorstellungen
Mit einem offenen Brief wandte sich der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte im Vorfeld des Internistenkongresses an den Vorstand der DGIM und gab seiner Verwunderung darüber Ausdruck, dass ein homöopathieskeptischer Arzt einen Vortrag dazu halten darf. Dr. Christian Lübbers, HNO-Arzt aus Weilheim und Sprecher des Informationsnetzwerkes Homöopathie bekam trotzdem das Wort.
Für Homöopathika wurden im Jahr 2017 in Deutschland 629 Millionen Euro umgesetzt, ein Anteil von 9,4 % am Gesamtmarkt rezeptfreier Arzneien.
Nach einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach aus dem Jahr 2009 kennen 94 % der Deutschen die Homöopathie, 53 % haben auch schon entsprechende Mittel eingenommen. Aber fast 75 % machen sich falsche Vorstellungen von der Homöopathie und nur 17 % können exakt erklären, was sie bedeutet, sagte Dr. Lübbers.
Hervorgerufen werden die falschen Vorstellungen durch das Bild, das die Laienpresse zeichnet: Da begegnen einem glückliche gesunde Familien und Heilpflanzen mit der Kraft der Natur. In der Regel handelt es sich bei diesen Berichten um von Homöopathika-Herstellern bezahlte Sonderveröffentlichungen, mit denen bewusst eine „Wohlfühlstimmung“ erzeugt werden soll.
Zum Mittelpunkt der Erde geklopft
Doch Ausgangsstoffe für die Urtinktur sind keineswegs immer natürliche Pflanzenteile. Vielmehr kommt jedes organische und anorganische Material in Betracht, z.B. Quecksilber, Plutonium, Schlangengift, Kakerlaken, Hundekot, Berliner Mauer oder gar Licht. Diese Stoffe müssen schrittweise in Wasser oder Alkohol gelöst und verdünnt werden, um die Urtinktur herzustellen. Wie dies beim Ausgangsstoff Licht vor sich geht, konnte Dr. Lübbers bisher von keinem Homöopathen in Erfahrung bringen.
Zwischen den einzelnen Verdünnungsschritten passiert das aus Sicht der Homöopathen Wesentliche: Das Gläschen wird in Richtung Erdmittelpunkt auf Leder geklopft oder geschüttelt, was eine Dynamisierung bewirken soll. Die Verdünnung der Urtinktur (D0) geht dann in Schritten von Zehnerpotenzen vor sich. Das heißt, von D0 zu D1 und weiter zu D2 verdünnt man die Lösung jeweils um den Faktor 10. Es gibt auch Homöopathika, bei denen die Hersteller den Faktor 100 zur „Potenzierung“ verwenden (C1, C2, C3).
Die ultraverdünnte Lösung, die entsteht, wird auf Zuckerkügelchen gesprüht. Die Globuli bekommen dann einen lateinischen Namen, was ihrer Reputation dient, z.B. Murus berliniensis C30. Man kann sich ausrechnen, wie viel Berliner Mauer auf den Kügelchen wirklich noch drauf ist.
Alle Homöopathika enthalten 100 % Zucker und 0 % des Ausgangsstoffs der Urtinktur. „Wenn man unterschiedliche Globuli mischen würde, es gäbe keine Methode, wie man sie wieder sortieren könnte, weil sie sich chemisch nicht unterscheiden“, so der Referent.
Wie konnte die Homöopathie so populär werden? Im 18. Jahrhundert, bevor Samuel Hahnemann die Therapieform 1810 begründete, hat die Medizin mit radikalen Methoden meist mehr Schaden als Nutzen angerichtet. An Aderlässen, Brechmitteln, Abführmitteln, hochdosierten Giften oder sogar Trinkverboten (Cholera) starben sehr viele Menschen.
Trotz neuer Erkenntnisse nicht weiterentwickelt
Da war das „Nichts“ der Homöopathie wirklich ein Segen für die Menschen. Die drei Hauptthesen von Hahnemann lauteten:
- Krankheiten entstehen durch Verstimmung der geistigen Lebenskraft.
- Die Potenzierung (Verdünnung/Schüttelung) erhöht die Wirksamkeit einer geistigen Arzneikraft.
- Das richtige Arzneimittel wird nach dem Ähnlichkeitsprinzip ausgewählt.
Man weiß aber heute sehr viel mehr als damals über die Ursachen von Krankheiten und auch über die große Bedeutung, die der Psyche dabei manchmal zukommt. Doch die Homöopathie hat sich von den anfänglichen Vorstellungen nicht weiterentwickelt.
Ihre Wirkung beruht auf unspezifischen Effekten, die genauso bei jeder anderen Therapieform eine mehr oder minder wichtige Rolle spielen. Der Spontanverlauf der Erkrankung kann einen Erfolg vortäuschen. Beispiel: Wenn Kopfschmerzen nach der Einnahme von Globuli verschwinden, muss dies nicht an den Globuli gelegen haben. Positive unspezifische Auswirkungen können auch der Placeboeffekt und die Zuwendung des Betreuers haben.
Legt man den Maßstab der evidenzbasierten Therapie an, schneidet die Homöopathie schlecht ab. Seit 1991 sind elf größere indikationsübergreifende systematische Übersichtsarbeiten erschienen, die den Nutzen untersucht haben. Ein beträchtlicher Teil davon stammt sogar von Autoren, die die Homöopathie befürworten. Keines dieser Reviews fand in irgendeiner Indikation verlässliche Evidenz für eine Wirksamkeit.
„Gesetzliche Krankenkassen sollten nicht länger bezahlen“
Dennoch kursieren reichlich Fachbücher und Ratgeber für Laien, die über den Einsatz der Homöopathie gegen Autismus, bei Krebs, in der Intensivmedizin sowie zur Prävention und Therapie von Infektionskrankheiten einschließlich COVID-19 informieren. Da wird es dann wirklich gefährlich, schloss Dr. Lübbers. Es sei an der Zeit, den Status der Homöopathie als „besondere Therapieform“, der für diese Arzneimittel in Deutschland erleichterte Bedingungen schafft, aufzuheben. Für alle Arzneimittel müssten dieselben Anforderungen gelten. Auch gesetzliche Krankenkassen sollten Homöopathika nicht länger als freiwillige Leistung bezahlen.
Kongressbericht: 127. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (Online-Veranstaltung)