Falsch-positive und falsch-negative Diagnosen durch Kinesiologie
Von einer Muskelschwäche Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand ziehen: Das verspricht die angewandte Kinesiologie. Diese These entbehrt nicht nur jeder wissenschaftlichen Grundlage, sie kann Patienten auch ernsthaft in Gefahr bringen.
Blockaden des Energieflusses als vermeintliche Ursache
Die „Lehre von der Bewegung“ wurde 1964 von einem US-amerikanischen Chiropraktiker entwickelt und hat in Deutschland viele Anhänger. Ihre Anbieter behaupten, dass „Störungen der Balance“ oder „Blockaden des Energieflusses“ eine relative Schwäche in den zugeordneten Muskeln verursachen, schreibt Professor Dr. Edzard Ernst, emeritierter Professor für Komplementärmedizin der Universität von Exeter. Die manuelle Prüfung des Muskeltonus soll dann nicht nur Hinweise darauf geben, wie es um die Gesundheit der Untersuchten steht, sondern auch, ob sich bestimmte Präparate, z.B. Homöopathika, für sie eignen.
Aus wissenschaftlicher Sicht sind die Annahmen, auf denen die Lehre gründet, nicht plausibel, betont Prof. Ernst. Und die Studien, die dazu vorliegen, haben eine schlechte Qualität. 2008 veröffentlichten Befürworter der Alternativmedizin eine systematische Übersichtsarbeit, die 22 Studien einschloss. Das ernüchternde Fazit der Forscher: „Es gibt keine ausreichende Evidenz für die diagnostische Validität der Kinesiologie, die Gültigkeit der Muskelreaktion und die Wirksamkeit der Lehre für irgendeine Erkrankung.“ Zu einem vergleichbaren Schluss kommt eine neuere Zusammenfassung aus 2014.
Der etwas andere Allergiecheck
Im schlimmsten Fall kann es tödlich enden
Die Methode selbst schadet nicht, so Prof. Ernst. Sehr wahrscheinlich aber führt sie zu falsch-positiven oder -negativen Diagnosen, warnt er. Entweder unterzieht sich der Patient dann einer Reihe überflüssiger Therapien oder eine echte Erkrankung wird übersehen – was im schlimmsten Fall tödlich enden kann.Edzard Ernst: Alternativmedizin – was hilft, was schadet, Gräfe und Unzer Verlag, ISBN-13: 978-3-8338-7793-3, 1. Auflage 2021