Coronaskeptiker und Impfgegner in der Sprechstunde – was hilft im Umgang mit ihnen?

Interview , Gesundheitspolitik Autor: Anouschka Wasner

Gesprächsstrategien wie das Debunking können helfen, die mentale Barriere des Patienten zu überwinden. Gesprächsstrategien wie das Debunking können helfen, die mentale Barriere des Patienten zu überwinden. © kebox – stock.adobe.com

Der Psychologe Philipp Schmid berät Ministerien und Gesundheitsexperten u.a. im Umgang mit Impfgegnern in öffentlichen Debatten. Eine Face-to-Face-Begegnung in der Sprechstunde verlangt ein anderes Vorgehen. Bestimmte Strategien im Gespräch können helfen.

Herr Schmid, was haben lmpfgegner und Pandemieleugner gemeinsam?

Auf jeden Fall eine Grundhaltung, die auf Wissenschaftsleugnung beruht – mal mehr, mal weniger ausgeprägt. Was dem Gegenüber dabei als Erstes auffällt, ist die sehr ähnliche Rhetorik der beiden Gruppen. Zu den typischen Techniken des Wissenschaftsleugnens gehört z.B. das Zitieren falscher Experten. Oder auch, unmögliche Erwartungen anzustellen, etwa, dass eine Impfung zu 100 % sicher sein soll oder wissenschaftliche Daten konsistent sein müssen, was gegen die Idee der Wissenschaft selbst geht. Dann gibt es die Technik der falschen Logik, z.B. die Grundannahme: Was natürlich ist, ist gut, und was menschengemacht ist, ist nicht gut. Und dann gibt es noch die Technik des Selektierens bzw. Cherry Picking: Man nimmt sich einzelne Daten heraus, die das eigene Argument stützen, und ignoriert den Rest. Das wird zurzeit gerne gemacht, wenn es um die Masken geht. Man ignoriert einfach die Größe der Evidenz, die die Effektivität von Masken untermauert.

Welche Interventionsmöglichkeit hat der Arzt, der sich in seiner Sprechstunde wissenschaftsfeindlichen Patienten gegenüber sieht?

Die One-size-fits-all-Lösung gibt es leider nicht. Jede Lösung muss maßgeschneidert sein. Oft ist das aber gar nicht so schwer: In Umfragen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und in internationalen Studien sehen wir, dass der stärkste Treiber immer noch die Empfehlung des eigenen Arztes ist.

Oft funktioniert auch der soziale Appell sehr gut. Bei Maskenverweigerern könnte man z.B. sagen: ‚Es mag sein, dass es für Sie schwer ist, ich möchte Sie aber bitten, in der Praxis eine Maske zu tragen zum Schutz anderer, die an Krankheiten leiden, bei denen eine Ansteckung auch zum Tode führen kann.‘

Aber es gibt auch die Patienten, die schon mit einem ganzen Kompendium an Argumenten in die Praxis kommen. Spontan möchte man diesen Patienten – ausgehend vom Wissensdefizitmodell – einfach die Fakten in den Kopf trichtern. Dieser Weg funktioniert aber oft nicht. Viele psychologische Ansätze sind sich einig, dass man den Patienten auf der Gefühlsebene abholen muss, bei seinen Ängste und Befürchtungen. Wenn also das Gegenüber sagt, es wisse von einer Studie, dass Impfen Autismus auslöst, dann ist es keine gute Idee, zu sagen, die Faktenlage ist aber eine andere.

Der Verweis auf Fakten ist genau das, was man spontan tun möchte.

Ja, den Impuls hat man. Effektiver ist aber: Wenn ich deine Informationen hätte, hätte ich auch Angst. So spiegelt man die Gefühlslage des Patienten. Im nächsten Schritt kann man mit seiner eigenen Expertise arbeiten: Ich habe diese Angst nicht, denn ich kenne andere Daten. Und ich weiß, dass die Studie, die Sie gelesen habe, eine Fälschung ist, weil … Damit bietet man dem Patienten eine Chance, sich über diese neue Evidenz aus seiner Sicht herauszulösen. Würde man sagen: Wie kann man so einen Quatsch glauben – würde der andere sofort in eine Verteidigungshaltung fallen, aus der er nur schwer rauskommt.

Lässt sich diese Strategie auf das Thema Maske übertragen?

Auch bei der Maske handelt es sich um eine Präventionsmaßnahme, zu der die Leute angehalten sind. Sagt ein Patient, er will keine Maske tragen, weil er dann nicht genug Sauerstoff bekommt und Langzeitschäden davonträgt, ist es nicht zielführend zu sagen, dass das Unsinn ist. Effektiver ist: ‚Wenn ich das glauben würde, hätte ich auch Angst vor der Maske. Aber tatsächlich ist die Datenlage eine andere.‘ So gibt man dem Maskenverweigerer eine Chance, da wieder rauszukommen. Manche Impf- und Maskengegner glauben ja auch, dass sie mit ihrer Weigerung ihre Kinder schützen. Hier könnte man sagen: ‚Das verstehe ich, wir haben dasselbe Ziel. Aber wir haben unterschiedliche Evidenzlagen, und wenn Sie mögen, erzähle Ihnen jetzt meine aus der Sicht des Arztes.‘ Diese Strategie nennt man Motivational Interviewing.

Wo stößt diese Technik an Grenzen und gibt es dann noch Optionen?

Wenn das Ziel des Gegenübers nicht der Dialog ist, wird man scheitern, egal, was man tut. Hinter manchen Positionen stecken auch politische Motivationen oder finanzielle Interessen, da ist kein Dialog gewünscht, das muss man sehen. Ansonsten bietet sich noch die Strategie des Debunking an, die Korrektur von Falschwissen durch Informationen. Ziel ist es, irrige Überzeugungen nicht nur zu widerlegen, sondern auch eine alternative Erklärung anzubieten. Bewährt hat sich der Aufbau: Fakt, Warnung, Mythos, alternative Erklärung. Man sagt etwa zum Thema Grippeimpfung: Eine Grippeimpfung schützt vor der Grippe. Das wäre der Fakt. Dann schickt man eine Warnung voraus: Es ist ein weit verbreiteter Irrtum – und verweist dann auf den Mythos, nämlich dass die Grippe-Impfung die Grippe auslösen könnte. Und dann bietet man die alternative Erklärung an: Manche Menschen fühlen sich nach der Impfung abgeschlagen, das ist ein Zeichen dafür, dass das Immunsystem reagiert usw.

Eine weitere Strategie im Umgang mit Falschinformationen ist auch, mit Worten „zu impfen“, also die Patienten vorab davor zu warnen, dass sie Ziel von falschen Informationen sein könnten und ihnen dafür Gegenargumente an die Hand zu geben.

Hausärzte, mit denen ich zu dem Thema gesprochen habe, sagen: Ich biete keine Homöopathie an, ich arbeite streng schulmedizinisch, in meine Praxis kommen keine Wissenschaftsleugner. ‚Wer Homöopathie sät, wird Verschwörungsglaube ernten‘, spitzte es einer der Ärzte zu.

Ich denke, wenn man Pseudowissenschaften wie Homöopathie deutlich von wissenschaftlicher Praxis trennt, und das klar kommuniziert, dann hält man sich ein gewisses Klientel ganz automatisch aus der Praxis heraus. Grundsätzlich lässt sich aber vielleicht mehr erreichen, wenn man etwa bei der Homöopathie nicht die ganz harte Kante fährt. Wissenschaftlich gesehen ist Homöopathie völlig ineffektiv. Aber gesellschaftlich kann sie eine Rolle einnehmen. Greift ein Patient sozusagen privat auf die Kügelchen zurück, ist das nicht störend. Es darf nur auf keinen Fall mit der wissenschaftlichen Praxis konfligieren.

Das Problem ist, dass starke Fronten häufig zur Reaktanz führen. Der Patient könnte sich ausgegrenzt fühlen. Sieht er dann keine Möglichkeit, wieder in das soziale Umfeld aufgenommen zu werden, bindet er sich stärker an andere isolierte Menschen. Damit fördern wir die Polarisierung in unserer Gesellschaft – was eines der größten Probleme unseres Zeitalters ist. Leider ist es sehr anstrengend, ständig neu in die Auseinandersetzung zu gehen. Ein Gesprächsabbruch wird aber langfristig zu mehr Problemen führen.

Es gibt auch die These, dass der Glaube an wissenschaftsverleugnende Theorien den Weg zum Verschwörungsglauben bereiten kann.

Das ist richtig. Man findet in Studien immer wieder, dass wer an einen Verschwörungsmythos glaubt, auch für andere irrige Thesen eher offen ist. Eine Studie aus 2012 hat es auf den absurden Punkt gebracht, dass je mehr man glaubt, dass Lady Di noch am Leben ist, man auch umso mehr daran glaubt, sie sei ermordet worden. Das Vorantreiben einer Polarisierung ist aber gefährlich. Man muss sich das quasi wie eine Sekte vorstellen: Ist man tief eingestiegen in das Umfeld, beginnt die Verschwörungsgeschichte mehr und mehr an die eigene Identität gekoppelt zu sein. Die Menschen erfahren dadurch oft auch eine Aufwertung der eigenen Person. Seine Position infrage zu stellen, wird dann als ein Verlust der eigenen und der sozialen Identität empfunden. Das ist mit extremem Schmerz verbunden, wie der Verlust von einer geliebten Person. Also versuchen die Betroffenen mit aller Kraft an der Idee festzuhalten, was gefährlich sein kann. Durch soziale Ausgrenzung wären diese Menschen auf ihre Echokammern angewiesen. Hat man aber immer mal wieder Kontakt mit Menschen, die wissenschaftlich denken, gibt es eine Chance, da rauszukommen.

Wenn ein Hausarzt keine Impfgegner mehr in seiner Praxis wünscht, weil er erlebt hat, wie eine Patientin weiter jede Impfung verweigerte, auch nachdem sie schon mit Keuchhusten in seinem Wartezimmer gesessen hat – wie finden Sie das?

Wenn man alle Interventionsmöglichkeiten versucht hat, muss man irgendwann auf sein eigenes Wohl und das Wohl der anderen Patienten achten. Jede Auseinandersetzung ist für denjenigen, der versucht, Zugang zu den Wissenschaftsleugnern zu bekommen, psychisch belastend und frisst Zeit und Ressourcen.

Haben Ärzte einen Auftrag, der Wissenschaftsfeindlichkeit gegenzuarbeiten? Können sie das?

Ich glaube, dass man Ärzte mit diesem Problem des postfaktischen Zeitalters mit Fake News nicht alleine lassen kann. Die Optimierung des Arzt-Patienten-Gespräches wie das Identifizieren rhetorischer Techniken und der effektive Umgang damit, ist in den seltensten Fällen Inhalt des Studiums. Es ist unfair, das Problem den Ärzten zu überlassen. Wir brauchen interdisziplinäre Projekte mit Psychologen und Ärzten, in denen ein zeiteffizienter und realitätsnaher Umgang mit solchen Situationen entwickelt wird.

Medical-Tribune-Interview

Philip Schmid: Psychologe, Universität Erfurt Philip Schmid: Psychologe, Universität Erfurt © Privat