Coronaimpfung „Ihr persönlich zugestellter Haftungsbescheid“
Hat auch Ihre Praxis das Schreiben erhalten, das darauf hinweist, „dass Sie persönlich für Impfschäden haftbar gemacht werden können, wenn Sie Ihren Patienten einen der Gen basierten COVID-19-Impfstoffe verabreichen“? Was sich auf den ersten Blick fast wie ein klassisches Mahnschreiben liest, ist eine weiterer Versuch der Coronaleugner-Szene, Verantwortliche im Gesundheitssektor zu verunsichern und einzuschüchtern. Bis vor Kurzem trug das Schreiben, für das sich im Internet mehrere Downloadmöglichkeiten finden, teilweise noch den – mittlerweile neutralisierten – Betreff „Ihnen persönlich zugestellte Haftungsinformation“.
Tatsächlich verläuft die Zustellung keineswegs zielgerichtet: Die Ersteller des Schreibens rufen einfach nur im Netz dazu auf, das, was sie eine „Haftungsinformation“ nennen, an Ärztinnen und Ärzte sowie „Leiter von Gesundheitsämtern, Schulen und Gemeinden sowie politische Entscheidungsträger“ im eigenen Umkreis zu verschicken. Auf diesem Weg soll eine „Aufklärungswelle“ ausgelöst werden, die zum Umdenken in „diesem unsäglichen Impfwahn“ führt.
Strafmöglichkeit gefordert
Juristischer Quatsch-Begriff soll Seriosität vorgaukeln
Dass das Konzept Haftungsinformation aus dem Steuerrecht stammt und den Empfänger, z.B. einen Geschäftsführer einer GmbH, auf die Zahlung der Steuerpflicht einer anderen Person verpflichtet und dass der Begriff hier völlig unsachgemäß verwendet wird – das ist wahrscheinlich weder Zufall noch Dummheit, sondern kann als klassische Strategie von Verschwörungsverbreitern verstanden werden. Dabei werden aus dem Kontext gerissene Fachbegriffe zur Untermauerung einer Aussage eingesetzt, sodass diese fachlich seriös anmutet. Absender des Schreibens sind die „Mediziner und Wissenschaftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie“ (MWGFD), die „Doctors for Covid Ethics“ und die „Ärzte für Aufklärung“. Bei allen drei Zusammenschlüssen handelt es sich um bekannte Protagonisten aus der aktiven Szene der „Coronamaßnahmen-Kritiker“, die bereits seit Beginn der Pandemie durch wissenschafts- und demokratiefeindliche Aussagen von sich reden machen. Dem Verein MWGFD, der sich im Zusammenhang mit den Coronamaßnahmen auf das im Grundgesetz verankerte Widerstandsrecht bezieht, wurde schon bald nach seiner Gründung die Gemeinnützigkeit entzogen. Der Verein habe aufgrund der Art seiner Einflussnahme auf die politische Meinungsbildung die Grenze einer gemeinnützigen Zweckverfolgung überschritten. Man habe sich weder differenziert noch ergebnisoffen mit den Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie auseinandergesetzt, begründete der Bundesfinanzhof den Entzug der Steuerbefreiung. Bekanntester medizinischer Vertreter des MWGFD und der Doctors for Covid Ethics ist der emeritierte Professor für Mikrobiologie Dr. Sucharit Bhakdi, dem mittlerweile von etlichen Experten und Faktenchecks die Verbreitung von Falschinformationen nachgewiesen wurde und der sich zuletzt mehrmals als offen auftretender Antisemit bewiesen hat. Zur Riege der Gründer gehört außerdem Dr. Bodo Schiffmann, ehemaliger HNO-Arzt aus Sinsheim, heute schillernde Führungsfigur in der Querdenker-Szene, dessen Approbation aktuell auf dem Spiel steht. Andere MWGFD-Mitglieder aus dem medizinischen Bereich haben der evidenzbasierten Medizin schon lange den Rücken zugekehrt und propagieren Behandlungsformen wie „Psychologische Astrologie“ und „Theta Healing“. Der Arzt und „Quantenheiler“ Andreas Diemer empfiehlt, gegen Viren im Allgemeinen sowie bei COVID-19 Chlordioxid einzunehmen bzw. zu injizieren.Verleumdung des Ärztetages schürt Misstrauen in Institution
Wie andere seiner Szene verbreitet er Falschnachrichten wie etwa, der Deutsche Ärztetag habe beschlossen, dass „Schüler nur noch die Schule besuchen dürfen, wenn sie gegen Corona geimpft sind“ – eine irreführende Interpretation der Begründung zu einem Beschluss, dessen tatsächlichen Forderungen darauf zielen, „unverzüglich eine COVID-19-Impfstrategie für Kinder und Jugendliche zu entwickeln“. Mitunterzeichner des „Bescheides“ sind die sogenannten Ärzte für Aufklärung. Auf ihrer Homepage werben sie für den Guerilla-Versand mit der Schlagzeile „Niemand soll einmal sagen können, ‚Ich habe es ja nicht gewußt‘“. Zu den Aktiven dieses Zusammenschlusses gehören neben dem bereits genannten Dr. Schiffmann weitere Ärztinnen und Ärzte, die seit Beginn der Pandemie fragwürdige Aussagen vertreten, um Zweifel an der Tragweite der Pandemie und den von der Mehrheit der Wissenschaftler grundsätzlich befürworteten Maßnahmen zu schüren, und diese in Zweifel, Verunsicherung und Demokratiefeindlichkeit zu übersetzen. Eine der Quellen für das juristisch anmutende Schreiben sind die verschwörungsnahen Thesen der Rechtsanwältin Beate Bahners, ehemals angesehene Medizinrechtlerin, heute aktiv in der Querdenker-Szene. In ihrem Buch „Corona-Impfung: Was Ärzte und Patienten unbedingt wissen sollten“ von September 2021 spricht sie von 100.000 angeblichen Impftoten allein in Deutschland und rät Ärztinnen und Ärzten, Impfungen erst nach fünfjähriger Erprobungsphase einzusetzen, da man sie sonst privat für mögliche Schäden in Haftung nehmen könne. Auch die Bayerische Landesärztekammer hat den „Haftungsbescheid“ erhalten. Es hätten sich zudem mehrere Ärztinnen und Ärzte deswegen an sie gewandt, teilt die Kammer mit. Wie andere Kammern auch verweist sie darauf, dass es sich bei dem Anschreiben um „die persönliche Auffassung Einzelner bzw. des Vereins“ handele. Man wolle den für die Berufsaufsicht zuständigen Ärztlichen Bezirksverband Niederbayern bei Bedarf rechtlich unterstützen. Der Bezirksverband Niederbayern will den „Haftungsbescheid“ der Staatsanwaltschaft zur Kenntnis geben. Anhand der Absenderadresse und in Kenntnis der Vereinsstrukturen vermute man, dass der Absender ein Arzt aus dem Bezirk sei, der als Protagonist der Querdenker-Szene auftritt und gegen den bereits strafrechtliche Ermittlungen wegen des Verdachts auf Ausstellung unrichtiger Atteste laufen. Dr. Wolfgang Schaaf vom Ärztlichen Bezirksverband Niederbayern bedauert in diesem Zusammenhang, dass die Berufsordnung keine direkte „wasserdichte“ Möglichkeit biete, Sanktionen durchzusetzen: In der Vergangenheit habe man immer wieder schmerzhaft erfahren, dass Sanktionen vor Widerspruchsinstanzen keinen Bestand hatten. „Zu groß sind die Freiheitsgrade in der Berufsordnung und zu gering die Ermittlungskompetenzen der Ärztekammern“, so Dr. Schaaf. Man könne also nur die strafrechtlichen Ermittlungen abwarten, um im Fall einer Verurteilung den „berufsrechtlichen Überhang“ rechtssicher belegt zu bearbeiten. Und während also die Kammern auf die „persönliche Auffassung Einzelner“ verweisen, wird hoffentlich auch im Hintergrund gehandelt. Um solchen Anschreiben und anderen bedrohlichen Inszenierungen etwas entgegensetzen zu können und Ärztinnen und Ärzte aus dem Kreuzfeuer der Hetze zu nehmen.Medical-Tribune-Recherche