Wissenschaftsleugnung Kampfkunst gegen Impfgegner
Es sind wahrscheinlich gar nicht so viele. Nur zwei Prozent der Patientinnen und Patienten, gehören zur Gruppe der Impfgegner, schätzt man. Ihre Ablehnung von Impfungen ergibt sich aus der totalen Leugnung wissenschaftlicher Evidenz. Größer, als diese Zahl es vermuten lässt, ist aber offensichtlich der Einfluss der Wissenschaftsleugner. So glaubten letztlich zwischen 17 und 21 % der Menschen in Deutschland während der Pandemie, Corona sei nicht schlimmer als eine Erkältung. Zurückgeführt wird der relativ große Einfluss der Wenigen auf die offensive Kommunikationsstrategien, die sie – vor allem in den sozialen Medien – verfolgen.
Tausende zusätzliche Tote durch Wissenschaftsleugnung
Wissenschaftsleugnung ist ein weltweites Phänomen. In Südafrika lassen sich geschätzt 300.000 zusätzliche HIV-Todesfälle darauf zurückführen, dass ein ehemaliger Präsident dazu aufforderte, Aids mit Knoblauch und Roter Beete zu bekämpfen. Die Leugnung des Klimawandels, die überall in der Welt immer wieder entsprechende Gegenmaßnahmen verhindert, wird jährlich tausende zusätzliche Tode verursachen. Und eine der ersten von Kapitalinteressen geförderte Wissenschaftsleugnung der neueren Geschichte führt heute noch dazu, dass die tödlichen Folgen des Tabakkonsums zu gering eingeschätzt werden.
Worauf basiert Wissenschaftsleugnung?
Eine wissenschaftsfeindliche Haltung gilt als motiviert durch z.B.:
1. Verschwörungsmentalität, die davon ausgeht, dass geheime, finstere Kräfte am Werk sind,
2. Antihaltung gegen „das Establishment“,
3. Beeinflussung durch Akteure mit wirtschaftlichen Interessen wie Tabak- oder Autoindustrie,
4. die soziale Identität bzw. das soziale Umfeld,
5. den Wunsch, Ängste oder Phobien wie etwa vor Spritzen zu kaschieren.
Quelle: Hornsey M J et al., American Psychologist 2017
Eine Bedrohung für die öffentliche Gesundheit weltweit nennt dann auch die Weltgesundheitsorganisation das Misstrauen gegenüber der Wirksamkeit und Sicherheit von Impfstoffen. Und auch die WHO führt das Phänomen vor allem auf Fehlinformationen im Internet zurück. Als eine Größe, die Impfentscheidungen von Menschen am ehesten beeinflussen kann, hat sie das medizinische Fachpersonal ausgemacht – Health Care Professionals (HCP) werden als vertrauenswürdig betrachtet, so die Grundannahme.
Das europäisch finanzierte Projekt Jitsuvax zur Verbesserung der Impfstoffaufnahme trägt dieser Einschätzung Rechnung. Dabei ist der Projektname Programm: Wie bei der Kampfsportart Jiujitsu, dessen kennzeichnende Technik darin besteht, die Energie des Angreifers zu nutzen, suchen hier fünf europäische Länder Wege, wie man toxische Fehlinformationen in potenzielle Vorteile verwandelt.
Impfen gegen Impfablehnung und Fehlinformationen
Der beste Weg, Fehleinschätzungen zu bekämpfen, ergebe sich durch den Blick auf die Fehlinformationen selbst, erklärt dazu der Psychologe Dr. Philipp Schmid vom Institute for Planetary Health Behaviour der Uni Erfurt, der in dem Projekt mitarbeitet. So könne man diese analysieren oder sie als „Impfstoff“ einsetzen, indem man Menschen abgeschwächten Dosen von Fehlinformationen ausgesetzt, um eine kognitive Immunität zu erreichen. Medizinerinnen und Mediziner seien dabei das Bindeglied zwischen der Impfpolitik und der Aufnahme von Impfstoffen. Deswegen sei das Ziel, Health Care Professionals (HCP) so zu schulen, dass sie effektiver mit Patienten kommunizieren können.
Um herauszubekommen, wie das am besten geht, hat sich das Projekt zunächst die Aufgabe gegeben, die Einstellung von HCP zu Impfungen in den teilnehmenden Ländern messen und die Argumentation von Impfgegnern zu analysieren. Auf der Grundlage des gewonnenen Materials wurden dann Methoden entwickelt, welche die Widerstandsfähigkeit der Öffentlichkeit gegen Fehlinformationen einerseits und das Wissen und die Einstellung von HCP zu Impfungen andererseits verbessern.
„Ansätze, die sich in den Tests als evidenzbasiert und effektiv erweisen, sollen als Fortbildung für Ärztinnen und Ärzte angeboten werden“, sagt Dr. Schmid. Die Werkzeuge reichen von der Intervention in der medizinischen Ausbildung über Methoden wie das empathische Widerlegungsinterview bis zum Leitfaden für medizinisches Fachpersonal und öffentliche Gesundheitseinrichtungen.
Was dabei jeder weiß, der es schon versucht hat: Wissenschaftsfeinde lassen sich in einer öffentlichen Diskussion kaum überzeugen. Gegenrede sei aber trotzdem sinnvoll und notwendig, sagt Dr. Schmid, nämlich um Dritte vor der Beeinflussung durch Fehlinformationen zu schützen. Ziel müsse sein, die Kommunikationsstrategien zu demaskieren.
Rhetorische Tricks entlarven, um Dritte zu schützen
„Zu den rhetorischen Techniken von Wissenschaftsleugnern gehört z.B. das Anstellen unmöglicher Erwartungen, also z.B. dass die Impfung zu 100 % sicher sein soll“, sagt der Psychologe. „Oft zitieren sie auch falsche Experten, also etwa jemanden mit Doktor in Germanistik, der sich zum Klimawandel äußert.“
Impfgegner-Rhetorik wirkt – die Gegenrede aber auch
Auch Cherry Picking, das Aus-dem- Kontext-Reißen von Daten, komme oft vor, oder es würden Scheinargumente angeführt, bei denen etwa eine Aussage über das Alter eines argumentativen Gegners diskreditiert wird – siehe Greta Thunberg. Häufiger Erfüllungsgehilfe in der wissenschaftsfeindlichen Mission sind auch die unterschiedlichsten Verschwörungsmythen. Wer den Mythen etwas entgegensetzt, gilt dann als Teil der Verschwörung.
Die große persuasive Kraft dieser Techniken ist nicht nur gefühlt, sie konnte auf Studienebene auch nachgewiesen werden. Die gute Nachricht: Auch die Wirkung des „Rebuttal“ konnte belegt werden, wobei die Gegenrede sowohl über inhaltliche Richtigstellung als auch über das Offenlegen und Benennen der rhetorischen Strategie, die von der wissenschaftsleugnenden Person eingesetzt wurde, Wirkung zeigt.
In der Sprechstunde geht es nicht um Konfrontation
Ganz anders, so Dr. Schmid, stelle sich jedoch die Situation in einer Eins-zu-eins-Konstellation z.B. in der Sprechstunde dar: „Hier ist das Motivational Interviewing das Mittel der Wahl. Dabei bieten wir mit offenen Fragen Raum für Ängste und Sorgen.“ Das Gegenüber erfährt so eine Bestätigung des wahrheitsgemäßen Anteils in seiner Aussage – den es immer gibt, so Dr. Schmid – und öffnet sich für die darauffolgende Information. Auf der Website des Projektes, wurden bereits über 60 Falschinformationen beispielhaft mit dieser Technik aufgearbeitet.
Und was sagt der Experte dazu, dass auch in Arztpraxen Homöopathie, anthroposophische Medizin und andere therapeutische Ansätze angeboten werden, für deren Wirksamkeit es keinen wissenschaftlichen Nachweis gibt? Legitimieren Ärztinnen und Ärzte mit der Anwendung von Pseudowissenschaften eine wissenschaftlich leugnende Haltung unter ihren Patientinnen?
„Auf der einen Seite präsentiert man wissenschaftliche Evidenz – und auf der anderen Seite Dinge, für die es überhaupt keine wissenschaftlich haltbaren Argumente gibt. Was soll der Patient aus diesem inkonsistenten Mix machen?“, so Dr. Schmid. „Wenn wir Vertrauen aufbauen und eine klare Linie kommunizieren wollen, die über die Zeit hält, müssen wir uns für eine Seite entscheiden. Und das sollte die evidenzbasierte Medizin sein.“
Medical-Tribune-Recherche
Kongressbericht: DGIM 2023 – 129. Internistenkongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin
Weiterführende Informationen
- „Debunking Handbook: Wie man Falschinformationen auf Textebene richtig korrigieren kann“
- Gesprächskarten des RKI: Wie spreche ich über das Thema Impfen?
- Anleitung zur erfolgreichen Korrektur von konkreten Fehlinformationen zum Thema Impfen von Jitsuvax.info
- Handreichung der WHO, How to respond to vocal vaccine deniers in public
- Vortrag von Dr. Philipp Schmid beim 129. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) in Wiesbaden
- Goviralgame - „Ein 5-minütiges Spiel, das dich vor COVID-19-Fehlinformationen schützt“