Coronaleugner und Impfskeptiker Gefangen in fixen Ideen und Wahnvorstellungen
Es gibt Menschen, die die schützenden Impfungen gegen das Coronavirus konsequent ablehnen. Argumenten und Fakten sind sie nicht zugänglich, ihr Weltbild ist durch Skepsis geprägt. Ob privates Gespräch oder öffentliche Demonstration: Coronaleugner und Impfskeptiker machen aus ihrem Misstrauen gegenüber Wissenschaft und Medizin auf der einen sowie Politik und Medien auf der anderen Seite keinen Hehl.
Die Gruppe der Skeptiker und Zweifler ist äußerst heterogen
Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer von der Universitätsklinik in Ulm stellt in einem Editorial zum Thema zunächst klar, dass die große Gruppe der Zweifler und Skeptiker ausgesprochen vielfältig daherkommt. Da gibt es Menschen, die eine Impfpflicht als Zwangsmaßnahme betrachten, die es generell abzulehnen gilt. Andere wiederum behaupten, dass es SARS-CoV-2 überhaupt nicht gebe – und falls doch, dass es dann wohl nicht so gefährlich sein könne, wie behauptet. Und andere wiederum misstrauen generell „dem System“ und „denen da oben“.
Unterm Strich, so Prof. Spitzer, lasse sich Folgendes feststellen: Menschen, die die Gefahren durch SARS-CoV-2 oder gar dessen Existenz leugnen, fühlen sich weniger informiert. Sie haben weniger Vertrauen in die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie und halten sich seltener und in geringerem Maß an die behördlichen Sicherheitsvorgaben. Bei ihnen finden sich häufiger generalisierte Ängste und Depressionen – womöglich infolge eines erlebten Kontrollverlusts während der Pandemie und bedingt durch einen niedrigeren Wissensstand. Schaut man auf die Angehörigen der Pflegeberufe, fällt auf: Frauen stehen der Impfung gegen COVID-19 eher skeptisch gegenüber und haben mit Blick auf Nebenwirkungen und Langzeitschäden größere Bedenken, ebenso jüngere Pflegekräfte.
Generell hat die Coronapandemie weltweit zur Zunahme bei Depressionen und Angststörungen um 25 % geführt, berichtet der Psychiater. Das habe das Klima aus Unzufriedenheit, Pessimismus und Angespanntheit weiter angeheizt und bei vielen zu Resignation und Verzweiflung geführt. Soziale Medien hätten in dieser Situation als Echokammer und Filterblase fungiert und die zwischenmenschliche Kommunikation vieler Nutzer nachhaltig gestört. Mit dem übermäßigen Gebrauch von Internetdiensten wie Twitter, Telegram, Facebook und YouTube sei das kritische und korrigierende Gegenüber zunehmend in den Hintergrund getreten oder habe ganz gefehlt. Denn das Ziel und die Geschäftsidee der sozialen Medien bestehe nicht darin, uns objektiv zu informieren. Das Erfolgsrezept von Social Media sei vielmehr, uns das zu präsentieren, was wir insgeheim erwarten oder befürchten und was wir hören oder sehen wollen.
Verschwörungstheorien sind „Versuche, wichtige politische oder gesellschaftliche Ereignisse als durch geheime Pläne mächtiger Menschen oder Organisationen verursacht zu betrachten“. Den Glauben an solche Erzählungen könne man aus psychiatrisch-psychopathologischer Sicht durchaus als Wahn klassifizieren, meint Prof. Spitzer. Voraussetzung sei allerdings, dass der Verschwörungsgläubige objektiv gesehen aufgrund seiner Überzeugung Schaden nimmt, etwa indem die Beziehung zerbricht oder Arbeitsplatz und Wohnung verloren gehen.
Der Verschwörungsglaube sitzt bei vielen sehr tief
Oftmals handelt es sich bei den Anhängern von Verschwörungserzählungen „um ganz normale Leute“, deren Einstellung man ernst nehmen muss, so Prof. Spitzer. Denn ihre Ansichten gehen regelmäßig mit Verhaltensweisen einher, die durchaus Unheil anrichten können, etwa indem das Tragen einer Maske oder Impfungen abgelehnt und das Abstandsgebot gezielt missachtet werden. Wissenschaftliche Erkenntnisse haben angesichts von Verschwörungstheorien wenig Überzeugungskraft. Auch das direkte Widerlegen einzelner Behauptungen führt bei diesen Menschen selten zur Änderung der Einstellung. Der Verschwörungsglaube sitzt tief und bestimmt das Verhalten weiterhin.
Prof. Spitzer sieht bei den meisten Coronaleugnern und Impfgegnern keine psychische Störung. Vielmehr seien diese Menschen unzureichend informiert, hätten schlechte Erfahrungen im Medizinbetrieb gemacht, fühlten sich aus den unterschiedlichsten Gründen besonders empfänglich für Impfnebenwirkungen oder könnten nicht klar zwischen wissenschaftlichen Fakten und Stammtischmeinungen trennen. Der Psychiater benennt dies als „Krise der Wissenschaft“, zu der auch die Medien durch ihre Art und Weise der Berichterstattung beigetragen hätten.
Ängste reduzieren und Vertrauen wiederherstellen – ohne diese beiden großen Vorhaben könne der Umgang mit Impfskeptikern, Coronaleugnern oder radikalen Maßnahmengegnern nicht gelingen, ist Prof. Spitzer überzeugt. Nachvollziehbare Begründungen für politische Entscheidungen und eine adäquate und klare Kommunikation helfen, das Gefühl des Kontrollverlusts zu verringern. Finanzielle Unterstützung nimmt Bedrohungsgefühle und mindert Ängste. In einem Punkt sollte man aber keinesfalls nachlassen: immer wieder nachvollziehbar argumentieren und die Leistungen der Wissenschaft hochhalten – auch wenn das bei wahnhaft überzeugten Impfgegnern oft genug aussichtslos erscheint.
Quelle: Spitzer M. Nervenheilkunde 2022; 41: 124-134; DOI: 10.1055/a-1690-0322