Corona-Impfverordnung: Trotz Priorisierung viel Handlungsspielraum für Ärzte
Die Verordnung zum Anspruch auf Schutzimpfung gegen SARS-CoV-2 vom 31. März 2021 gibt in § 1 Absatz 2 vor: Impfzentren, deren mobile Teams, Vertragsarztpraxen, beauftragte Betriebsärzte und die anderen genannten Leistungserbringer „haben den vorhandenen Impfstoff so zu nutzen, dass die Anspruchsberechtigten in der folgenden Reihenfolge berücksichtigt werden“: Berechtigte nach § 2 (mit höchster Priorität), § 3 (mit hoher Priorität), § 4 (mit erhöhter Priorität) und alle übrigen. Das sieht fix aus. Bewusst oder unbewusst hat der Verordnungsgeber allerdings Regelungen getroffen, die einen weitgehend freien Impfbetrieb in den Praxen ermöglichen.
Zeitversetzte Einladung der ersten Berechtigten
So ist in den §§ 2 bis 4 geregelt, dass Personen getrennt nach Geburtsjahrgängen, beginnend mit den ältesten Jahrgängen, geimpft werden sollen. Problemlösung: Nach § 2 Absatz 2 kann die Einladung zur Impfung allerdings zeitversetzt erfolgen, sodass zwar die Reihenfolge ab 80, ab 70 und ab 60 Jahre eingehalten werden muss, Personen mit anderen Indikationen aber einbezogen werden können.
In den §§ 3 und 4 werden Krankheitsbilder aufgezählt, bei denen bevorzugt geimpft werden soll, z.B.: Trisomie 21, Organtransplantation, Demenz oder geistige Behinderung, schwere psychiatrische Erkrankungen, behandlungsbedürftige oder in Remission befindliche Krebserkrankungen, interstitielle Lungenerkrankungen, COPD, Mukoviszidose, Asthma bronchiale, Muskeldystrophien, Diabetes mit und ohne Komplikationen, Leberzirrhose, chronische Nierenerkrankungen, Adipositas mit einem BMI über 40 bzw. über 30, Immundefizienz, HIV-Infektionen, Autoimmun- oder rheumatologische Erkrankungen, Herzinsuffizienz, Arrhythmie, Vorhofflimmern, KHK, arterielle Hypertonie, zerebrovaskuläre Erkrankungen, Apoplex, chronisch-entzündliche Darmerkrankungen.
Problemlösung: Nach § 3 Absatz 1 Nr. 2k können Personen bevorzugt geimpft werden, bei denen nach ärztlicher Beurteilung aufgrund besonderer Umstände im Einzelfall ein sehr hohes oder hohes (bzw. nach § 4 Absatz 1 Nr. 2i ein „erhöhtes“) Risiko für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf nach einer SARS-CoV-2-Infektion besteht. Es liegt somit im Ermessen der Ärztin/des Arztes, wen sie/er über die hier nur beispielhaft genannten Erkrankungen hinaus impft.
Nach den §§ 2 bis 4 haben Pflegepersonen, Pflegekräfte, Kontaktpersonen sowie Menschen mit beruflicher Exposition ein Anrecht auf eine bevorzugte Impfung. Diese Liste ist sehr umfangreich und erfasst z.B. folgende Kreise (vollständige Liste: siehe CoronaImpfV):
Nach § 2
Nach § 3
Nach § 4
Mit Reserve-Impflingen den Verwurf von Dosen vermeiden
§ 1 Absatz 3 erlaubt ein Abweichen von der Reihenfolge, wenn dies für eine effiziente Organisation der Schutzimpfungen oder eine zeitnahe Verwendung der Impfstoffe notwendig ist, insbesondere um Verwurf zu vermeiden. Von der Reihenfolge kann zudem abgewichen werden, um eine Ausbreitung von SARS-CoV-2 aus hochbelasteten Grenzregionen sowie in oder aus Gebieten mit besonders hohen Inzidenzen zu verhindern. Ein Abweichen von den Priorisierungsauflagen wäre damit grundsätzlich bei Menschen möglich, die als „Reserve“ für abgesagte Impftermine erreichbar sind, und in Bundesländern, die z.B. an Frankreich, Österreich oder Polen grenzen. Fazit: Die CoronaImpfV öffnet den Personenkreis, der in einer Praxis geimpft werden kann, weit. Das gilt auch für die genannten Detailregelungen. In der Gesamtbetrachtung heißt das, dass nahezu jede Person in der Praxis, die eine Impfung gegen SARS-CoV-2 wünscht, nach rein medizinischen und/oder epidemiologischen Gesichtspunkten versorgt werden kann. Die Priorisierungsregeln in der Impfverordnung wirken so allenfalls als Leitfaden.Medical-Tribune-Bericht