Karriere von Ärztinnen: Vernünftiger Mutterschutz und Topsharing gefordert
Die meisten Medizinstudentinnen wollen Karriere machen. Laut dem Berufsmonitoring der KBV von 2018 streben rund 85% von ihnen eine Stelle als Oberärztin an, 28% möchten Chefärztin werden. Doch die Realität ist ernüchternd: Durchschnittlich liegt der Anteil der Frauen in Spitzenpositionen der universitären Medizin bei 13%, die restlichen Stellen entfallen auf Männer. Zu diesem Ergebnis kommt die Erhebung „Medical Women On Top“ des Deutschen Ärztinnenbundes (DÄB), die zuletzt 2019 durchgeführt wurde.
Die unterschiedlichen Karriereverläufe der Geschlechter zeige sich sehr deutlich, wenn es um die Habilitation gehe, berichtet Dr. Christiane Groß, Präsidentin des DÄB, auf dem 127. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM). Mehr als die Hälfte der Medizinstudierenden ist weiblich. Doch weniger als ein Drittel derjenigen, die sich in einem medizinischen Fach habilitieren, sind Frauen. Dies liege daran, dass die Habilitation mit der Phase der Familiengründung zusammenfalle, erklärt die DÄB-Präsidentin. Schwangerschaft und Elternzeit würden oft einen erheblichen Knick in der Karriere verursachen.
Mutterschutz als Bumerang
Einer der Gründe dafür sei die strenge Mutterschutzgesetzgebung. „Sie hat sich zu einem Bumerang entwickelt, weil niemand die Haftung übernehmen will“, erklärte Dr. Groß. Sehr viele Schwangere und Stillende seien generell aus dem OP ausgeschlossen, dürften kein Blut mehr abnehmen und nicht mehr an bestimmten Fort- und Weiterbildungen teilnehmen. Studierende hätten oft Kontaktverbot gegenüber Patienten, in Famulaturen und Praktika dürften sie nur noch zuschauen.
Ohne diese Erfahrungen verzögert sich allerdings die Facharztprüfung. Einige Frauen würden ihre Schwangerschaft daher solange wie möglich verheimlichen, gibt Dr. Groß zu bedenken. „Wir müssen einen Weg suchen, der es Frauen, die weiterarbeiten möchten, ermöglicht, nicht nur Papierkram zu erledigen“, fordert sie.
Gesellschaftliche Vorwürfe: „Rabenmutter“ oder Hausfrau
Wie Mütter in vielen anderen Berufen auch, kehren Ärztinnen nach der Elternzeit eher in Teilzeit in die Klinik zurück. Auch dadurch brauchen sie länger bis zum Facharzt. Noch dazu leisten sie unbezahlte Überstunden und quälen sich mit Gewissensbissen gegenüber ihrer Familie und ihren Kollegen. Ein weiterer Nebeneffekt, der jungen Ärztinnen nicht immer bewusst ist: Sie zahlen weniger in die Ärzteversorgung und erhalten dadurch im Alter eine niedrigere Rente, gibt Dr. Groß zu bedenken.
In Vollzeit in die Klinik zurückzukehren, sei hierzulande wegen der hohen Zahl der Wochenarbeitsstunden meist nur mit einem Partner möglich, kritisiert Dr. Groß. Besser sei das Modell einiger skandinavischer Länder, in denen 40 Stunden pro Woche bereits Nacht- und Wochenenddienst einschließen.
Gesellschaftlich sind Mütter so oder so mit Vorwürfen konfrontiert, stellt Dr. Groß fest, egal ob sie nach der Elternzeit mit einer halben oder einer vollen Stelle wiederanfangen. Entscheiden sie sich für Vollzeit, heißt es, sie seien Rabenmütter, die ihre Karriere ihrem Kind vorziehen. Arbeiten sie nur teilzeit, wird ihnen nachgesagt, an Karriere nicht interessiert zu sein.
Ärztinnenbund fordert Topsharing
Für die Zukunft fordert der Deutsche Ärztinnenbund eine vernünftige Umsetzung des Mutterschutzgesetzes, familienfreundliche und verlässliche Arbeitszeiten, langfristige Arbeitsverträge und eine gut ausgebaute Kinderbetreuung. Zudem soll in Führungspositionen das sogenannte „Topsharing“ angeboten werden, bei dem sich zwei Teilzeitkräfte eine Vollzeitstelle teilen. Auch eine Frauenförderung an Kliniken könne Frauen in ihrer Laufbahn helfen.
Besonders enge Unterstützung bieten Mentoring-Programme wie etwas das des Ärztinnenbundes. Studien würden auf eindeutige Karrierevorteile von Frauen mit Mentorin oder Mentor hinweisen, erklärt Vizepräsidentin PD Dr. Barbara Puhahn-Schmeiser. So bekleideten sie höhere Positionen, erhielten ein höheres Gehalt und seien mit ihrer Karriere zufriedener.
Kongressbericht: DGIM 2021