Fatigue Die fünf diagnostischen Fallen bei krankhafter Erschöpfung
Obwohl viele Patienten unter einer Fatigue leiden, wurde sie lange Zeit nicht ernst genommen. Durch Long-COVID haben nun auch Diskussion und Berichterstattung rund um das Thema Auftrieb bekommen, meinte Prof. Dr. Gabriela Riemekasten von der Klinik für Rheumatologie und klinische Immunologie am Uniklinikum Schleswig-Holstein, Standort Lübeck. Auch die Forschung über die krankhafte Erschöpfung nimmt immer mehr Fahrt auf. Die Erfahrungen mit Long-COVID und neue Erkenntnisse zu myalgischer Enzephalomyelitis/chronischem Fatigue-Syndrom (ME/CFS) sollten uns lehren, die typischen Fallen beim Management dieser komplizierten Erkrankung zu vermeiden. Fünf davon zählte die Expertin auf.
Falle 1: Fatigue über einen Kamm scheren
Fatigue ist nicht gleich Fatigue, betonte die Expertin. Denn es gibt viele Formen dieser Erkrankung. Sie kommt im Rahmen einer postviralen Rekonvaleszenz vor oder im Zusammenhang mit einer schweren Erkrankung (Malignome, Autoimmunerkrankungen usw.). Eine weitere Variante ist das posturale Tachykardiesyndrom als Form einer Fatigue mit Zeichen der orthostatischen Intoleranz. Immer prominenter wird zudem die ME/CFS als anhaltende Fatigue mit Belastungsintoleranz und weiteren neurokognitiven Beschwerden wie Brainfog und Schmerzen. Die richtige diagnostische Zuordnung ist jedoch erforderlich, um die Erkrankung erfolgreich zu managen, betonte die Referentin.
Falle 2: Sich auf Laborwerte verlassen
Oft werden bei Patienten mit Verdacht auf Fatigue reihenweise Laboruntersuchungen durchgeführt. Sind diese unauffällig, schließt man daraus schnell, dass körperlich alles in Ordnung ist, die Beschwerden nicht relevant und psychisch bedingt sind. Doch das ist ein Fehlschluss, stellte Prof. Riemekasten klar. Gerade die ME/CFS schließt normale Laborwerte nicht aus! Übrigens: Es gibt sogar Marker für die Fatigue, allerdings sind diese nicht trivial. So kann man anhand einer Proteosomanalyse aus dem Liquor Patienten mit starker und geringer Fatigue voneinander unterscheiden.
Falle 3: Beschwerden der Patienten bagatellisieren
Wenn Patienten berichten, dass sie sich ohne vorangegangene Anstrengung geistig und körperlich abgeschlagen fühlen und ihre Erschöpfung durch Schlaf nicht besser wird, nehmen Ärzte dies oft nicht ernst. Sie vertreten die Meinung, dass Müdigkeit und Schlappheit weit verbreitet sind, und raten zu Psychohygiene und Training. Das ist ein Fehler, sagte Prof. Riemekasten. Denn auf diese Weise werden sowohl die Diagnose als auch die leitliniengerechte Behandlung der Fatigue versäumt. Der Rat zu körperlichem Training ist für viele Fatiguepatienten sogar fatal. Anstrengung führt bei ihnen oft zu einer massiven Verschlechterung der Beschwerden, die teilweise über mehrere Tage anhält.
Diese auch post-exertionelle Malaise (PEM) genannte Belastungsintoleranz wird nicht nur durch körperliche, sondern auch durch emotionale, kognitive oder orthostatische Belastungen ausgelöst
Falle 4: Dem Patienten mangelnde Kondition unterstellen
Viele Kollegen glauben, dass die Betroffenen sich hängen lassen und die Ursache ihrer Fatigue mangelnde Kondition ist. Das ist Unsinn, stellte Prof. Riemekasten klar. Studien haben inzwischen eindeutig gezeigt, dass Gesunde und ME/CFS-Patienten ganz unterschiedlich auf körperliche Belastung reagieren. Nach Ergometrie kommt es z.B. bei Gesunden zu einem Überschießen verschiedener Metaboliten im Urin. Bei Fatiguepatienten ist dies nicht der Fall.
Falle 5: Die Fatigue als Depression oder ein Burn-out verkennen
Fatigue und Schlafstörungen sind tatsächlich sowohl bei der Depression als auch bei ME/CFS zentrale Beschwerden. Trotzdem unterscheiden sich die Erkrankungen. Patienten mit Depression oder Burn-out leiden unter Antriebsarmut. ME/CFS-Patienten müssen sich dagegen oft aktiv bremsen, um sich in ihren besseren Phasen nicht zu überlasten und eine PEM zu riskieren. Außerdem geht es depressiven Patienten nach körperlicher Aktivität oft besser. Bei Patienten mit ME/CSF verschlechtert sich der Zustand eher.
Kongressbericht: 129. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin