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Impulskontrollstörungen Ein Kind sieht rot

Autor: Dr. Vera Seifert

Häufige Wutanfälle können auf eine gestörte Impulskontrolle hindeuten. (Agenturfoto) Häufige Wutanfälle können auf eine gestörte Impulskontrolle hindeuten. (Agenturfoto) © nadezhda1906 - stock.adobe.com; hayo – stock.adobe.com
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Kinder oder Jugendliche, die beim geringsten Anlass in die Luft gehen, sind nicht nur für Familie und Schule ein Problem. Sie leiden oft selbst unter ihrem aggressiven Verhalten. In erster Linie sind es drei Diagnosen, an die man bei gestörter Impulskontrolle denken sollte.

Eine Impulskontrollstörung bei Kindern oder Jugendlichen liegt vor, wenn es wiederholt zu Handlungen ohne vernünftige Motivation kommt, die nicht kontrolliert werden können, schreiben Prof. Dr. ­Michael ­Schulte-Markwort und Dr. Ali ­Chahvand von der Praxis Paidion in Hamburg. Krankheitswert erlangt dieses Verhalten, wenn es unangepasst ist oder dem Betroffenen selbst bzw. anderen schadet. Diese „Vulkanausbrüche“ umfassen Beschimpfungen und aggressives Verhalten gegenüber Personen und Gegenständen.

Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS)

Die Symptome einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung zeigen sich vor dem siebten Lebensjahr unabhängig von der Situation. Sie bestehen aus Unaufmerksamkeit, Überaktivität und Impulsivität. Kernsymptom ist das Aufmerksamkeitsdefizit. Man kann davon ausgehen, dass pro Schulklasse ein bis zwei Kinder betroffen sind. Diagnostisch aussschlaggebend ist ein auffälliges Ergebnis im Konzentrationstest, der Intelligenztest kann normal ausfallen. In Zweifelsfällen hilft eine probeweise Behandlung mit einem Stimulanz (z.B. Methylphenidat) weiter, das bei ADHS Mittel der Wahl ist. Auch eine Verhaltenstherapie kann dazu beitragen, dass die Kinder ihre Impulse und Emotionen besser kontrollieren können.

Affektive Dysregulation (DMDD)

Das Kürzel DMDD steht für Disruptive Mood Dysregulation Disorder. Diese Diagnose wurde eingeführt, um Kinder und Jugendliche mit starken Stimmungsschwankungen und Wutausbrüchen ohne andere Symptome einordnen zu können. Im ICD-10 existiert die Störung nicht. Die DMDD ist eine Ausschlussdiagnose, die gestellt werden kann, wenn ADHS und andere Verhaltensstörungen nicht infrage kommen. Das Verhalten muss seit mindestens zwölf Monaten bestehen und das Leben der Betroffenen beeinträchtigen.

Die Kinder oder Jugendlichen sind häufig und dauerhaft von einem Gefühl der Gereiztheit und Aggression geplagt. Beziehungen zu Familienmitgliedern und Gleichaltrigen leiden darunter, ebenso die schulischen Leistungen. Die Betroffenen selbst empfinden ihre Wutausbrüche als sehr belastend. Die Therapie besteht aus Medikamenten wie Stimulanzien, Anti­depessiva und atypischen Neuroleptika sowie Psychotherapie.

Störung des Sozialverhaltens

Diese Störung kann erst in der Adoleszenz auftreten oder bereits in der Kindheit beginnen (dann ist die Pro­gnose schlechter). Die Patienten verstoßen anhaltend gegen soziale Normen und Regeln bis hin zur Delinquenz. Sie agieren dabei aggressiv und impulsiv. Im Gegensatz zur DMDD zeigen die Betroffenen keine Einsicht, sie leiden kaum unter ihrem Verhalten und lassen wenig Empathie erkennen. Die Behandlung ist daher oft schwierig.

Bei der Diagnostik ist man häufig auf die Fremdanamnese angwiesen. Zudem sind Instrumente wie die Child Behavior Checklist (CBCL), der Youth Self-Report (YSR) und das Structured Clinical Interview for DSM Disorders (SCID) hilfreich. Wichtige Differenzialdiagnosen wie ADHS, Autismus-Spektrum-Störungen und Störungen der Persönlichkeitsentwicklung müssen ausgeschlossen werden.

Die Therapiemöglichkeiten sind vielfältig und reichen von Familieninterventionen über Einzeltherapie bis hin zu medikamentösen Behandlungen. Auch Interventionen in Schule und Peergroups sind wichtig, um soziale Kompetenzen zu stärken. Medikamente sollten schweren Fällen vorbehalten sein, die mit heftiger Aggression einhergehen. Dann können Risperidon, Stimmungsstabilisatoren oder Stimulanzien helfen. Bei starken innerfamiliären Konflikten kommt als Ultima Ratio eine Fremdunterbringung infrage.

Quelle: Schulte-Markwort M, Chavand A. Hamburger Ärzteblatt 2024, 2: 12-16