Ziel Diabetesremission Es gibt nicht die eine Lösung für alle
Nicht alle Menschen mit neu manifestiertem Typ-2-Diabetes werden ihren Lebensstil ändern wollen“, sagte Dr. Johannes Scholl vom Praxisverbund Prevention First aus Rüdesheim am Rhein. „Aber diejenigen, die ihren Diabetes wieder loswerden wollen, haben ein Recht zu erfahren, wie das gehen könnte.“ Dazu aber sei die individuelle Beratung nach Subtypen zwingend erforderlich.
Dass die althergebrachte Einteilung in Typ-1- und Typ-2-Diabetes viel zu unpräzise ist, war schon länger klar. Ein detaillierteres Modell hatte eine schwedische Arbeitsgruppe 2018 vorgeschlagen, berichtete der Referent. Anhand der Daten von fast 9.000 Patienten, die als Erwachsene neu an Diabetes vom Typ 2 erkrankt waren, hatten die Wissenschaftler fünf praxisrelevante Cluster gebildet:
Cluster 1: 6–7 % der Betroffenen wiesen einen schweren autoimmun bedingten Diabetes (SAID) auf, der dem bisherigen Typ 1 oder LADA entspricht.
Cluster 2: Bei 15–20 % lag eine angeborene Störung der schnellen Insulinausschüttung (SIDD) vor, mit hohem Risiko für KHK und Niereninsuffizienz.
Cluster 3: Ca. 15 % hatten eine genetisch bedingte schwere Insulinresistenz (SIRD), meist mit Familienanamnese für Typ-2-Diabetes. Oft waren die Betroffenen schon als Kind adipös; sehr hohes Risiko für KHK und Niereninsuffizienz.
Cluster 4: Rund 20 % zeigten moderate bis starke Insulinresistenz (MOD) bei einem BMI ≥ 35, oft mit MAFLD*, Fehlernährung und Bewegungsmangel.
Cluster 5: Bei 35–40 % fand sich eine leichte bis moderate Insulinresistenz (MARD). Alter > 70 Jahre, oft Sarkopenie, Bauchfettzunahme, hohes KHK-Risiko. Lediglich leichter bis moderater altersbedingter Diabetes bei nur mäßig verändertem Stoffwechsel.
Diese fünf Typen unterscheiden sich nicht nur in der Ursache der Erkrankung, sondern auch darin, auf welche Therapie der Patient am besten anspricht, erklärte Dr. Scholl.
Sein Praxiskollege Dr. Peter Kurz beschrieb, ob und mit welchem Training sich eine Remission am zuverlässigsten und schnellsten erreichen lässt. Ohne Anstrengung gehe es in keinem Fall, aber insbesondere bei moderat verändertem Stoffwechsel gebe es gute Nachrichten: Schon ab 35 Minuten zügigem Gehen täglich zeigen sich positive Effekte auf HbA1c- und Cholesterinwerte, beschrieb der Referent. Eine tägliche Stunde Aktivität in dieser Intensität kann Bauchumfang, Blutdruck und das Risiko für KHK verringern.
Für eine Remission dürfte das in der Regel aber nicht ausreichen, meinte Dr. Kurz. Ob dann Ausdauer- oder eher Kraftsport infrage kommen, ist dem Experten zufolge leicht beantwortet: „Immer beides zugleich!“ Es gebe jedoch offenkundige Unterschiede je nach Zugehörigkeit zu einem der fünf Cluster.
Für Patienten mit schwerem Insulinmangel-Diabetes des Clusters 2 empfiehlt er zumindest eine Stunde Ausdauertraining am Tag plus 60 Minuten moderate Kraftausdauerübungen pro Woche. Bei schwerem insulinresistentem Diabetes des Clusters 3 dagegen sollten es drei bis vier Einheiten Ausdauersport pro Woche über 30–60 Minuten sein, dazu mindestens dreimal wöchentlich eine Stunde gezieltes Krafttraining. Ähnliche Vorgaben, besser noch ein etwas intensiveres Training, gelten bei moderater adipositasbedingter Erkrankung des Clusters 4. Beim sogenannten Altersdiabetes der Patienten aus Cluster 5 reicht schon eine Stunde zügiges Gehen am Tag aus, nach Möglichkeit ergänzt um Kraft- und Stabilisierungsübungen zur Sturzprophylaxe.
Generell sei Krafttraining in der Diabetesprävention und -therapie lange unterschätzt worden, so Dr. Kurz: „Aktive Muskeln holen sich die Glukose aus dem Blut, unabhängig von der Insulinwirkung.“ Er rate mittlerweile allen seinen Patienten – ob mit Diabetes oder ohne – spätestens ab dem Alter von 50 Jahren mit regelmäßigem Krafttraining anzufangen.
Prof. Dr. Nicolai Worm brach eine Lanze für die Formuladiäten, auch wenn diese unter Ärzten und Ernährungsberatern eher verpönt seien. Er stellte mehrere Reviews vor und zeigte, dass ein niedrigkalorischer Mahlzeitenersatz die beste Methode zur Gewichtsreduktion und damit zur Remission bei Typ-2-Diabetes ist. Das gelte in besonderem Maße für Patienten mit SIRD und MOD, also die Cluster 3 und 4. Die beobachteten Effekte seien entgegen verbreiteter Ansichten genauso langfristig wie bei anderen Methoden zum Abnehmen. Schließlich würden auch die Empfehlungen der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) sowie die der European Association for the Study of Diabetes (EASD) initial dazu raten.
Nach einigen Wochen Formuladiät muss die Ernährung wieder umgestellt werden. Es spreche mittlerweile eine „überbordende Evidenz“ dafür, dass sich Menschen mit Diabetes Typ 2 besser nach Low Carb als Low Fat ernähren sollten, so der Ökotrophologe. Eine Metaanalyse von 2022 zeigte etwa: Je weniger Kohlenhydrate verzehrt werden, desto geringer ist das HbA1c.
Für Patienten mit schwerem Autoimmundiabetes, die Insulin spritzen, senkt eine Low-Carb-Ernährung zumindest den Insulinbedarf, eine Remission ist ausgeschlossen. Betroffenen mit dem Subtyp MARD ist vor allem bei Sarkopenie zu einer eiweißreichen Low-Carb-Ernährung zu raten.
* metabolisch-assoziierte Fettlebererkrankung
Quelle: Kongressbericht 129. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin