Lippen-Kiefer-Gaumenspalte Fehlbildung mit vielen möglichen Folgen
Eines von 500 Babys kommt mit einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte zur Welt. Häufig wird sie bei den pränatalen Ultraschalluntersuchungen entdeckt, manchmal fällt sie aber erst bei der Geburt auf. Jungen sind von der Fehlbildung häufiger betroffen (58 %) als Mädchen, schreiben Prof. Dr. Günter Lauer und Kollegen von der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie des Universitätsklinikums Dresden. Man unterscheidet verschiedene Formen der Spaltbildung:
- Spalten des harten und weichen Gaumens (31 %)
- Lippen- und Kieferspalten (26 %)
- Lippen-Kiefer-Gaumenspalten (43 %)
Die Fehlbildungen entstehen in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten. Beteiligt daran scheinen sowohl genetische als auch Umweltfaktoren zu sein, definitiv gibt es eine familiäre Häufung.
Wichtig: Lippen-Kiefer-Gaumenspalten treten nicht selten gemeinsam mit anderen Fehlbildungen (z.B. an Herz und Nieren) bzw. Syndromen auf. Daher ist eine entsprechende Abklärung angezeigt.
Spalten können sich ein- oder beidseitig, vollständig oder unvollständig entwickeln. Manche, wie die submuköse Gaumenspalte (siehe Kasten), fallen auf den ersten Blick gar nicht auf. Bei einer Kieferspalte gibt es unter Umständen keine angrenzenden Zähne oder sie haben Auffälligkeiten. Liegt eine vollständige einseitige Lippen-Kiefer-Gaumenspalte vor, fehlt der knöcherne Nasenboden. Bei beidseitiger Lippen-Kiefer-Gaumenspalte ist der Zwischenkiefer nur am Nasenseptum befestigt und einen Nasenboden vermisst man komplett. Isolierte Gaumenspalten liegen in der Mitte und gehen immer mit einer vollständigen Segelspalte einher.
Kleine Tricks ermöglichen von Anfang an das Stillen
Stillen ist bei Säuglingen mit einer Spaltbildung möglich, doch manchmal müssen Tricks angewandt werden: Beispielsweise hilft es bei alleiniger Lippenspalte, wenn die Mutter einen Finger zum Ausgleich für den fehlenden Lippenschluss auf den Babymund auflegt. Liegt eine Gaumenspalte vor, muss man den Kopf des Babys beim Stillen aufrecht halten, um einen nasalen Reflux zu verhindern. Beim Füttern mit dem Fläschchen hilft es, die Öffnung am Sauger durch einen Kreuzschnitt zu erweitern. Ob Stillen oder Flasche – das Füttern dauert bei Kindern mit einer Spalte deutlich länger.
Kinder mit einer Spaltbildung sollten immer in einem Spaltzentrum von einem entsprechend qualifizierten Behandlungsteam betreut werden. Unmittelbar nach der Geburt erfolgt die Vorstellung des Babys beim Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen des Spaltteams, der die Eltern berät (oder schon pränatal beraten hat) und die weitere Behandlung plant. Danach wird für Kinder mit einer Spalte des harten Gaumens eine Gaumenplatte angefertigt, die den Defekt verschließt.
Wenn die Spalte zunächst unentdeckt bleibt
Submuköse („verdeckte“) Gaumenspalten werden meist spät erkannt. Hinweise sind eine Uvula bifida, eine Kerbe am Hinterrand des harten Gaumens und eine durchscheinende Zone in der Mittellinie des Gaumens (Zona pellucida). Klinisch macht sich die submuköse Gaumenspalte bemerkbar durch:
- Fütterungsprobleme und nasalen Reflux bei Säuglingen
- rezidivierende Mittelohrentzündungen und als Folge davon Schwerhörigkeit
- Probleme bei der Lautbildung/beim Sprechen (z.B. „Näseln“)
Häufig werden Betroffene in einem Spaltzentrum erst vorgestellt, wenn eine mehrjährige logopädische Behandlung nicht den gewünschten Erfolg bringt. Die submuköse Gaumenspalte sollte dann wie eine offene operiert werden.
Je nach Ausdehnung der Fehlbildung führt man den Primärverschluss der Spalte in einer oder mehreren Operationen meist innerhalb des ersten Lebensjahres durch. Ziel ist neben der anatomischen und funktionellen Wiederherstellung auch ein gutes kosmetisches Ergebnis. Der Verschluss einer Gaumenspalte schafft die Voraussetzungen für normales Sprechen und eine gute Tubenbelüftung.
Vor der Pubertät meist weitere Operationen nötig
Vor der Einschulung sind die meisten Kinder vollständig rehabilitiert. Ein Teil der Betroffenen benötigt jedoch weitere chirurgische Eingriffe. So brauchen einige Patienten mit Kieferspalten im Alter von etwa zehn bis elf Jahren eine Kieferspaltosteoplastik unter Verwendung von Beckenkammspongiosa.
Kinder und Jugendliche sollten jährlich im Spaltzentrum vorgestellt werden, um ihre Entwicklung beobachten und ggf. weitere Maßnahmen planen zu können. Dazu gehören je nach Situation z.B.:
- logopädische Behandlung
- Kontrollen beim HNO-Arzt und bei Bedarf HNO-Eingriffe
- kieferorthopädische Behandlung
Im weiteren Verlauf können u.U. Korrekturen an Lippe und Nase, die Insertion von Implantaten (bei fehlenden Zähnen) oder eine sprechverbessernde Operation erforderlich werden. Bei deutlicher Größendiskrepanz von Mittelgesicht und Unterkiefer helfen kieferverlagernde Operationen.
Quelle: Lauer G et al. HNO 2023: 71: 276-284; DOI: 10.1007/s00106-023-01291-0