Pulmonale Hypertonie Geänderte Definition, Diagnosealgorithmus, differenziertere Therapieempfehlungen
Prof. Hoeper, welche Handlungsempfehlungen ergeben sich aus der neuen Leitlinie für die Primärversorger?
Prof. Hoeper: Niedergelassene Internisten und Hausärzte sehen die Patienten häufig als erste und sind gefordert, die PH zu erkennen bzw. unter all den anderen Diagnosen, die sich hinter den Beschwerden verbergen können, zu identifizieren. Die aktuellen Leitlinienempfehlungen zielen ganz bewusst darauf ab, auch nicht-fachärztlich tätigen Kollegen Rüstzeug an die Hand zu geben, das es ihnen erlaubt, die Erkrankung zu erkennen oder zumindest zu vermuten.
Wir haben einen Diagnostikalgorithmus entwickelt, der ausdrücklich nicht als Algorithmus für Lungenhochdruck etikettiert ist. Er soll die Abklärung jeglicher Belastungsdyspnoe unklarer Genese erleichtern. Erster Schritt nach Anamnese und körperlicher Untersuchung sind EKG und als Laborparameter NT-proBNP und Sauerstoffsättigung. Pathologische Befunde sprechen zwar nicht spezifisch für eine PH, doch man erkennt, dass etwas kardial nicht stimmt. Im nächsten Schritt folgt die Überweisung zur Echokardiografie, dann sind die Weichen gestellt. Wir hoffen, mit diesen einfachen, breit verfügbaren Maßnahmen eine verbesserte Früherkennung zu bekommen.
Sie haben die Druckgrenzen herabgesetzt, mit denen die PH definiert wird. Für den pulmonalarteriellen Mitteldruck liegt die Schwelle jetzt bei 20 statt 25 mmHg, für den pulmonalen Gefäßwiderstand bei 2 statt 3 WU. Was folgt daraus für die Praxis?
Prof. Hoeper: Vorerst nicht viel. Bei der Neufassung der hämodynamischen Definition geht es vorwiegend um epidemiologische Betrachtungen. Die alte Definition stammt aus den 1960er-Jahren und ist bewusst gewählt worden, um vor allem schwere Formen der PH zu erkennen. Man wusste damals schon, dass die Werte zu hoch angesetzt waren. Das Problem liegt heute darin, dass alle klinischen Studien mit diesen Druckwerten durchgeführt wurden, obwohl klar war, dass es Patienten mit Drücken zwischen 20 und 25 mmHg gibt, die krank sind, aber nicht erfasst wurden.
Auch diese Patienten haben eine schlechtere Prognose …
Prof. Hoeper: Das ist genau der Punkt. Sie sind symptomatisch, haben eine reduzierte Belastbarkeit. Und unabhängig von der Ursache der PH ist die Prognose schlechter als die von Menschen mit normaler Hämodynamik. Die neuen Grenzwerte sind sehr gut evidenzbasiert.
Was macht man mit Patienten, die nach neuer Definition eine pulmonale Hypertonie haben?
Prof. Hoeper: Zugelassene Medikamente gibt es fast ausschließlich für diejenigen mit pulmonal-arterieller Hypertonie (Gruppe 1) oder chronisch-thromboembolischer PH (Gruppe 4). Werden die Betroffenen symptomatisch, liegen die Drücke in der Regel weit über den Normalwerten. PH-Patienten, die mit niedrigeren Druckwerten diagnostiziert werden, weisen meistens eine zugrunde liegende Herz- oder Lungenerkrankung auf. Eine PH-Therapie gibt es für diese Patienten noch nicht.
Für die Gruppen 2 und 3 wurde in der Leitlinie das Wording dezent geändert. Es heißt jetzt PH „assoziiert mit“ einer Herz- bzw. Lungenerkrankung statt „verursacht durch“. Damit fallen viele Patienten aus Gruppe 1 heraus und damit auch aus der Indikation für die PAH-Medikamente, oder?
Prof. Hoeper: Die Umbenennung in „assoziiert“ erfolgte, um deutlich zu machen, dass sich Lungengefäßveränderungen und PH unabhängig von den Veränderungen der Grunderkrankung entwickeln können. An der diagnostischen Klassifizierung und Therapie ändert sich zunächst nichts.
Im Therapiealgorithmus wird zwischen Patienten mit und ohne kardiopulmonale Begleiterkrankungen unterschieden. Für diejenigen aus Gruppe 1 dürfte streng genommen nur der Pfad „ohne kardiopulmonale Begleiterkrankung“ gelten.
Prof. Hoeper: Das ist seit vielen Jahren ein kontroverses Thema. Vor 20 Jahren war die Welt des Lungenhochdrucks übersichtlich, damals gab es die Diagnose einer IPAH fast nur bei jungen Frauen ohne Komorbiditäten. Seither haben wir gelernt, dass es auch ältere Menschen mit einer echten PAH gibt. Viele leiden an Komorbiditäten wie Linksherzerkrankungen oder Lungenerkrankungen, und es ist im Einzelfall oft unmöglich zu sagen, was zuerst da war und wie die ätiologischen Zusammenhänge aussehen.
Wir haben in der Definition noch den Wedgedruck von 15 mmHg als Grenze zwischen prä- und postkapillärer PH. Liegen wir drüber, gehört der Patient mit kardialer Begleiterkrankung ziemlich sicher in PH-Gruppe 2 (PH bei Linksherzerkrankung). Bei einem Wedgedruck unter 15 mmHg kann es bei strikter Anwendung der aktuellen Kriterien formal nicht Gruppe 2 sein, dann hat der Patient eine PAH und gehört in Gruppe 1, auch wenn es kardiale Komorbiditäten gibt. Bei den pulmonalen Erkrankungen ist es einfacher, die gehören nach aktuellem Kenntnisstand klar in Gruppe 3.
Bei diesen Patienten müsste man dann die Therapie beenden?
Prof. Hoeper: Jein. Solche Patienten erhalten gemeinhin „nur“ PDE-5-Inhibitoren, die wir auch bei Gruppe 3 als Option empfehlen, wenn eine schwere PH mit einem pulmonal-vaskulären Widerstand von mehr als 5 Word Einheiten vorliegt. Die Ärzte in Deutschland machen das meistens völlig richtig, sie verordnen diesen Patienten eine Monotherapie mit PDE-5-Hemmern und entscheiden im Einzelfall, ob es einen Nutzen gibt oder nicht.
Auf den ersten Blick wirkt das kontraintuitiv: Die, die am kränksten sind, die kardiopulmonal noch eine Komorbidität obendrauf haben, bekommen die wenigste Therapie.
Prof. Hoeper: Weil sie am wenigsten profitieren. Für mich ist das eine der wichtigsten Änderungen in der Leitlinie, dass wir endlich klar sagen: Es gibt keine vernünftige Evidenz, dass unsere Medikamente diesen Patienten nutzen. In Registerdaten sehen wir, dass das Therapieansprechen in der Gruppe der älteren Patienten mit Begleiterkrankungen deutlich schlechter ist und die Nebenwirkungsrate höher. Auch kommt es häufiger zum Therapieabbruch aufgrund von Nebenwirkungen. Wir sehen in der Praxis immer wieder, dass Kollegen noch draufsatteln und Patienten mit relevanten Komorbiditäten sich darunter eher verschlechtern als verbessern.
Bei der PAH ohne Komorbiditäten gibt es initial die Möglichkeit, dual oder dreifach zu kombinieren. Wonach richtet sich die Entscheidung?
Prof. Hoeper: Relevant ist das prognostizierte Sterberisiko bei Diagnose. Bei hohem Risiko sollte der Patient initial zusätzlich zu PDE-5-Hemmer und Endothelin-Rezeptorantagonist ein injizierbares Prostazyklin bekommen. Das betrifft bei uns aber weniger als 5 % aller neu diagnostizierten Patienten.
In der Follow-up-Therapie von Patienten mit Intermediate-low-Risiko gilt es, ggf. die Entscheidung zu treffen: wann addieren, wann wechseln?
Prof. Hoeper: Studien gibt es dazu nicht und das eine schließt das andere ja nicht aus. Es geht nur darum, welchen Schritt man zuerst macht. Die meisten Zentren besprechen beide Optionen mit ihren Patienten und entscheiden gemeinsam. Ein Argument könnte sein, dass Patienten beim Wechsel die Chance haben, sich zu verbessern, ohne ein weiteres Medikament zu brauchen. Aber letztlich gibt es kein Patentrezept.
Wann kommen die PH-Therapien für die Gruppen 2 und 3, die über eine Behandlung der Grundkrankheit hinausgehen?
Prof. Hoeper: Für die PH bei interstitiellen Lungenerkrankungen möglicherweise schon bald. Inhalatives Treprostinil ist in den USA zugelassen, bei uns könnte es 2023 oder 2024 zur Verfügung stehen. Studien zur Therapie in Gruppe 2, zu Linksherzerkrankungen mit PH, endeten in der Vergangenheit oft negativ, aber weitere Studien mit ganz neuen Ansätzen sind unterwegs.
Wie sieht es mit der App zur Leitlinie aus?
Prof. Hoeper: Sie ist auf der Homepage der ESC downloadbar (www.escardio.org).
Interview: Manuela Arand