Cephalgie Gekommen, um zu bleiben

Autor: Dr. Dorothea Ranft

Für gewöhnlich können die Betroffenen den Beginn ihres Leidens auf den Tag genau angeben, manchmal auch die Uhrzeit.(Agenturfoto) Für gewöhnlich können die Betroffenen den Beginn ihres Leidens auf den Tag genau angeben, manchmal auch die Uhrzeit.(Agenturfoto) © Witoon – stock.adobe.com

Eine Cephalgie, die plötzlich erstmals auftritt und zur Dauerbelastung wird – dahinter kann sich die Diagnose „neu aufgetretener täglicher Kopfschmerz“ verbergen. Ein wichtiges Kriterium: Der Patient kann sich genau daran erinnern, wann die Symptome einsetzten.

Der neu aufgetretene tägliche Kopfschmerz (NDPH*) manifestiert sich typischerweise beidseitig, fühlt sich drückend und beengend an und ist meistens leicht bis mittelschwer ausgeprägt. Zusätzlich bestehen eventuell Reizsymptome wie Licht- und Schallempfindlichkeit, Übelkeit und Erbrechen. Die Störung kann in jedem Alter beginnen, Frauen sind häufiger betroffen als Männer (1,5:1).

Für gewöhnlich können die Betroffenen den Beginn ihres Leidens auf den Tag genau angeben, manchmal auch die Uhrzeit. Von diesem Zeitpunkt an bestehen Dauerkopfschmerzen, wobei die Betroffenen zuvor nicht an einer Cephalgie gelitten hatten, erklären PD Dr. Carl­ Göbel­ von der Schmerzklinik Kiel und Koautoren. Die langfristige Prognose des NDPH ist unklar. Es gibt selbstlimitierende Verläufe, bei denen die Cephalgie nach Monaten oder Jahren von selbst sistiert, aber auch völlig therapieresistente Fälle.

Bezüglich des Phänotyps macht die dritte Auflage der internationalen Kopfschmerzklassifikation (ICHD-3) sehr breite Vorgaben. So können Patienten mit der Diagnose NDPH ebenfalls die Kriterien für andere primäre Dauercephalgien erfüllen (z.B. Migräne, Spannungskopfschmerz) – vorausgesetzt, der zeitliche Beginn lässt sich klar abgrenzen. Typisch für die NDPH ist, dass die Beschwerden von Anfang an täglich auftreten und keine rasche Remission erreicht wird.

Als häufigste Initialsymptomatik schildern Patienten mit NDPH eine grippeähnliche Erkrankung. Vielfach haben sie auch zuvor eine Infektion mit Herpes simplex oder dem Zytomegalievirus durchgemacht, oder sie weisen hohe EBV-Titer auf. Das legt eine virusinduzierte Immunantwort als Ursache der Beschwerden nahe. Tatsächlich scheinen  Patienten mit postinfektiöser NDPH auf eine antivirale Therapie anzusprechen.

Zudem wurde eine Assoziation des chronischen de novo Kopfschmerzes mit Depression, Panikstörung, Angstzuständen und belastenden Lebensereignissen aufgezeigt. Dies ist ein Hinweis auf psychogene und funk­tio­nelle neurologische Mechanismen, die für eine zentrale Hypersensitivität anfälliger machen und die Interozeption verändern. Auch eine Hypermobilität der Halswirbelsäule könnte ein prädisponierender Faktor sein. Eine physikalische Therapie zur Stärkung der Nackenmuskulatur könnten daher eventuell von Nutzen sein, schreibt Dr. Göbel.

Zur weiteren Abklärung empfehlen die Autoren eine sorgfältige neurologische Untersuchung, außerdem zerebrale MRT, Lumbalpunktion und Labordiagnostik. Denn die Differenzialdiagnosen des NDPH reichen vom Liquorunterdrucksyndrom über die Karotisdissektion bis zum Malignom.

Die Empfehlungen zur Therapie des neu aufgetretenen täglichen Kopfschmerzes gründen auf Fallberichten. Prospektive, placebokontrollierte, randomisierte und verblindete Studien liegen bisher nicht vor. Das Vorgehen richtet sich nach der Form der NDPH. Wenn Migränesym­ptome vorherrschen, erfolgt die Behandlung analog dazu. Ähneln die Beschwerden eher dem Spannungskopfschmerz, sollten die Patienten ebenfalls entsprechend behandelt werden.

Allerdings sprechen viele Betroffene nicht oder stark verzögert auf eine Therapie an – der NDPH wird manchmal sogar als die am schwierigsten zu behandelnde Art von primären Kopfschmerzen bezeichnet. Im Fall akuter Exazerbationen profitiert etwa ein Drittel der Patienten von Triptanen. Für die Prophylaxe liegen Fallserien zu diversen Wirkstoffen vor, von Amitriptylin und Propranolol über Muskelrelaxanzien bis zu Antiepileptika. Fast allen ist gemeinsam, dass weniger als 30 % der Patienten darauf ansprechen.

Spezifische Therapieoptionen sind bisher nicht bekannt. Experimentell können sämtliche Pharmaka eingesetzt werden, die bei Migräne und trigeminalen autonomen Kopfschmerzen wirken. Blockaden des N. occipitalis major (GON-Block) waren in Fallserien bei 33–63 % der Patienten wirksam. Durch die intravenöse Gabe von Dihydroergotamin konnte in etwa einem Drittel der Fälle ein leichter Nutzen erzielt werden.

* New daily persistent headache

Quelle: Göbel C et al. Schmerzmedizin 2024; 40: 22-27; DOI: 10.1007/s00940-024-4701-z