Thorakale Karzinome Im Zweifel zeitlich befristen
Heute liegt in jedem fünften Intensivbett ein kritisch kranker Mensch mit Krebs, berichtete PD Dr. Tobias Liebregts vom Universitätsklinikum Essen. Der häufigste Grund für die Aufnahme auf eine Intensivstation (ITS) sei eine respiratorische Insuffizienz oder die postoperative Versorgung. Auch kardiozirkulatorische Insuffizienz oder Sepsis geben oft Anlass zur Verlegung. „Grundsätzlich gibt es keine Therapielimitationen upfront“, betonte der Referent. Nur mit palliativer Intention werden Krebserkrankte selten auf die ITS verlegt.
Die Überlebenschance der Betroffenen auf der ITS hat sich verbessert, sagte der Intensivmediziner. Die Krankenhaussterblichkeit bei intensivmedizinischer Betreuung von Personen mit soliden Tumoren oder hämatologischen Malignomen ähnelt heute der von Patient:innen, die wegen chronischer Leberzirrhose oder chronischer Herzinsuffizienz auf einer ITS behandelt werden.
Mechanische Beatmung wird zurückhaltend eingesetzt
Das war noch in den 1990er Jahren anders, sagte PD Dr. Liebregts. Das Überleben werde vor allem durch die Schwere und die Zahl der Organversagen beeinflusst, dagegen bestimme die onkologische Grunderkrankung das Langzeitergebnis nach Entlassung. Besonders schlecht sei die Prognose, wenn die Patient:innen eine mechanische Beatmung benötigen. Entsprechend ist aktuell zwar ein Trend zu mehr intensivmedizinischer Therapie von Betroffenen mit Krebs zu beobachten, eine mechanische Beatmung wird aber nur sehr zurückhaltend eingesetzt, sagte der Referent.
Zu spät sollte eine ITS-Einweisung nicht erfolgen, betonte er. Sonst geht der mögliche Behandlungsvorteil verloren. Er plädierte für die Zusammenarbeit der Intensivmedizin mit den Fachdisziplinen. Die onkologische Expertise ist nicht zuletzt wegen der raschen Entwicklung neuer Medikamente wichtig, die mit anderen Nebenwirkungen einhergehen als eine Chemotherapie.
Oft nicht eindeutig, für wen sich welche Strategie eignet
Letztlich muss die Entscheidung über eine ITS-Einweisung immer im Einzelfall getroffen werden. Lehnen die Patient:innen dies ab, ist der Allgemeinzustand schlecht oder liegen sie im Sterben, sollte keine ITS-Aufnahme erfolgen. Ansonsten gibt es einem Konsensuspapier zufolge keine grundsätzlichen Ausschlusskriterien, vorausgesetzt, die Betroffenen haben noch die Aussicht auf ein Langzeitüberleben. Allerdings ist im Alltag der Graubereich zwischen Erkrankten, die eindeutig nur noch von palliativer Versorgung profitieren verglichen mit solchen, die wahrscheinlich einen Vorteil durch die ITS-Behandlung haben, groß.
Für Personen mit unklarer Prognose oder Präferenz bietet sich ein „Time-Limited Trial“ an (TLT). Dabei wird eine Vereinbarung getroffen, alle notwendigen Maßnahmen für einen definierten Zeitraum zu initiieren. Kriterien, die vor der ITS-Aufnahme dafür sprechen, sind
- unklarer Einfluss einer Therapie auf funktionelle Erholung und Lebensqualität,
- Dissens mit dem Betroffenen bzw. der Familie sowie
- ein unklarer Patient:innenwille, und während der ITS
- unerwartete Komplikationen mit ungewissem Einfluss auf Prognose oder Lebensqualität sowie
- Dissens mit dem Erkrankten bzw. den Angehörigen.
Eine Patient:innenverfügung erleichtert die Gestaltung eines personalisierten TLT, ist allerdings nicht immer für die aktuelle Situation anwendbar. Unter Umständen kann eine ethische Fallbesprechung, idealerweise vor der Kommunikation mit der Familie, die Entscheidung stützen. Das TLT sollte alle an der Behandlung beteiligten Berufsgruppen – Intensivmedizin, Pflege, Palliativteam, zuweisende Fachdisziplin etc. – involvieren, betonte PD Dr. Liebregts. Das TLT macht die Integrierung des Palliativteams keineswegs unnötig – im Gegenteil sollte dieses schon vor ITS-Aufnahme hinzugezogen werden.
Entscheidend für das TLT ist die klare und präzise Kommunikation mit den Betroffenen und der Familie über Dauer, Art und Ziele der Therapie sowie die Maßnahmen bei Nichterfolg (s. Kasten). Die Angehörigen brauchen in der Zeit des TLT Sympathie, Empathie und Mitgefühl. Auch moralische und spirituelle Bedürfnisse sollten berücksichtigt werden. Jeden Tag benötigt die Familie eine Information zur klinischen Situation. Gibt es unerwartete Entwicklungen, empfiehlt der Experte Familienkonferenzen. Eine klare Kommunikation über Erfolg oder Misserfolg des TLT ist auch innerhalb des Teams wichtig. Einfach ist der Weg der befristeten intensiven Therapie nicht, stellte er klar: Das TLT könne noch einmal falsche Hoffnungen wecken und das Unvermeidliche hinauszögern.
Checkliste Time-Limited Trial (TLT) | |
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Dauer | individuell (mindestens aber 24-72 Stunden, damit ein Therapieansprechen beurteilt werden kann) |
Kommunikation |
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Ziele |
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Evaluation |
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Konflikte resultieren aus nicht-eindeutigen Therapiewünschen und unklaren Situationen, auf die die Angehörigen vorbereitet werden sollten. Die richtige TLT-Dauer festzulegen, birgt die Gefahr eines zu kurzen Versuchs, der eine Erholung unmöglich macht, genauso wie die eines zu langen, der die palliative Versorgung verhindert.
Quelle: Liebregts T; 62. Kongress der DGP; Thorakale Onkologie – wann Intensiv-, wann Palliativmedizin oder beides?
62. Kongress der DGP