Digitale Gesundheitsanwendungen In virtuellen Welten die Angst verlernen

Autor: Friederike Klein

Mit VR lassen sich auch schwierige und gefährliche Situationen simulieren, die Technologie ist diskret, sie lässt sich ambulant einsetzen und ist gut zu planen. Mit VR lassen sich auch schwierige und gefährliche Situationen simulieren, die Technologie ist diskret, sie lässt sich ambulant einsetzen und ist gut zu planen. © fovito – stock.adobe.com; Science Photo Library/Schneider, Elisabeth/Look At Sciences

Flugangst, soziale Phobie oder die krankhafte Furcht vor Tieren: Durch den Einsatz von virtueller Realität können sich Betroffene der beklemmenden Situation stellen und üben, damit umzugehen. Was heute schon möglich ist und was noch kommen wird, erklärte ein Experte für Angststörungen.

Mit Beginn der COVID-19-Pandemie hat sich der Einsatz digitaler Anwendungen im Bereich psychischer Erkrankungen deutlich erhöht. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde hat auf diese Entwicklung reagiert und das Referat Digitale Psychiatrie und Psychotherapie gegründet, berichtete Prof. Dr. Peter Zwanzger vom kbo-Inn-Salzach-Klinikum in Wasserburg am Inn. Schwerpunkt des neuen Referats sind die vielversprechenden Möglichkeiten, die die digitale Technik im Bereich psychischer Störungen bietet, erläuterte der Psychiater. Am weitesten fortgeschritten in der Entwicklung sind etwa Selbstmanagement-Interventionen bei Depression oder Alkoholabhängigkeit, die bereits als sogenannte digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) rezeptiert werden können.

Psychiatrie und Neurologie sind schon länger Vorreiter bei den DiGA, erklärte Prof. Zwanzger. Bei diesen Apps handelt es sich ganz allgemein um zertifizierte Medizinprodukte, die Diagnostik und Therapie von Krankheiten unterstützen. Sie werden vom Patienten allein genutzt oder gemeinsam von Leistungserbringern und Patienten. Voraussetzung für die Kostenerstattung durch die gesetzlichen Krankenkassen ist eine Prüfung durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), unter bestimmten Voraussetzungen auch in einem beschleunigten Verfahren. Leistungsnachweise müssen zunächst nicht erbracht werden.

Trotz der eher laxen Kriterien zur Wirksamkeit wurden bis Oktober 2021 aber keineswegs alle DiGA-Anträge positiv beschieden, berichtete der Referent: 49 Anträge wurden zurückgezogen, fünf negativ beurteilt. 24 Gesundheitsapps waren im vergangenen Herbst im DiGA-Verzeichnis des BfArM gelistet, zwölf davon – und damit die Hälfte – für die Psychiatrie, drei für den neurologischen Bereich. Allein fünf der Produkte unterstützen die Behandlung von Angststörungen, betonte Prof. Zwanzger. Beispielhaft beschrieb er eine App, die im Rahmen der Psychotherapie mithilfe einer Virtual-Reality-Brille auch Expositionsübungen per 360°-Videos ermöglicht.

Konfrontation lieber virtuell als live

Virtual Reality (VR) wurde bereits in zahlreichen Studien zur Behandlung von Angsterkrankungen eingesetzt, führte Prof. Zwanzger weiter aus. Mit VR lassen sich auch schwierige und gefährliche Situationen simulieren, die Technologie ist diskret, sie lässt sich ambulant einsetzen und ist gut zu planen. Oft stehen die Patienten der virtuellen Konfrontation mit der furchteinflößenden Situation bereitwilliger gegenüber als einer tatsächlichen Exposition. Voraussetzung für den VR-Einsatz ist naturgemäß eine technisch ausgereifte Simulation und die emotionale Beteiligung des Patienten. Dann erleben sich die Betroffenen auch in der virtuellen Umgebung als sehr präsent, so die bisherige Erfahrung des Experten.

Die Behandlungsergebnisse nach VR-Exposition im Rahmen der kognitiven Verhaltenstherapie können ähnlich gut ausfallen wie nach tatsächlicher Konfrontation, ganz gleich ob eine spezifische Phobie, eine soziale Angststörung oder eine Agoraphobie vorliegt. Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2021 findet für die Behandlung von Angststörungen sogar eine Überlegenheit der VR-basierten Verhaltenstherapie.

Als noch faszinierender empfindet Prof. ­Zwanzger die Möglichkeiten der sogenannten ­Augmented ­Reality (AR), bei der die reale Situation um VR-Komponenten erweitert wird. So kann man beispielsweise virtuelle Spinnen über die vom Patienten realiter ausgestreckten Hände krabbeln lassen.

Auch geeignet bei Altophobie

Einsatzfelder für VR-Anwendungen sieht Prof. ­Zwanzger mehr als genug. Bereits heute bestehe ausreichende Evidenz bei Höhen- und Fahrangst oder um Krankenhausangst bei Kindern in den Griff zu bekommen. In der S3-Leitlinie zur Behandlung von Angststörungen wird die VR-Expositionstherapie bei Spinnen-, Höhen- oder Flugphobie dann empfohlen, wenn eine Exposition in Wirklichkeit nicht möglich ist. Bei sozialer Phobie kann demnach eine Exposition in Virtual Reality begleitend zur Standardpsychotherapie angeboten werden, nicht aber als alleinige Maßnahme.

Prof. ­Zwanzger gab sich davon überzeugt, dass E-Mental-Health-Anwendungen bestehende Versorgungsstrukturen sinnvoll ergänzen und unterstützen können. Er machte aber deutlich, dass zunächst randomisierte kontrollierte Studien die Effektivität und Sicherheit der Anwendungen belegen müssen.

Quelle: DGPPN* Kongress 2021

* Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V.