Kalkuliertes Vorgehen bei Verdacht auf monogenetische Diabetesformen
Bei der Manifestation eines Typ-2-Diabetes spielen diverse Risikogene zusammen, wobei die periphere Insulinresistenz den pathogenetischen Hintergrund bildet und die primär genetisch determinierte Betazellreserve der letztlich krankheitsauslösende Faktor sein dürfte. Die Effektgröße der einzelnen Risikogene ist nach aktuellem Wissensstand eher gering und es scheinen komplexe bislang kaum verstandene Interaktionen mit Umwelteinflüssen zu bestehen.
Wenn aber nur ein Gen krankheitsauslösend ist
Neben dem polygenetischen Typ 2 gibt es aber auch monogenetische Diabetesformen, bei denen ein einzelnes Gen allein für die Störung des Glukosestoffwechsels verantwortlich ist. 1–2 % – möglichweise sogar bis 5 % – aller Diabetespatienten sollen betroffen sein. Nicht selten werden diese Patienten jahrelang fälschlich als Typ 1 oder 2 klassifiziert und behandelt.
Als MODY-Diabetes werden autosomal-dominant vererbte Erkrankungen zusammengefasst, die mit einer Störung der Betazellfunktion einhergehen. 13 verschiedene Gene sind identifiziert, die einen MODY-Diabetes hervorrufen können (siehe Tabelle). Darüber hinaus gibt es mindestens 100 weitere Kandidatengene. Auffällig ist, dass bei den meisten der 13 sicher identifizierten MODY-Varianten das Gen eines Transkriptionsfaktors mutiert. Da Transkriptionsfaktoren eine ganze Kaskade von Proteinen regulieren, ist es plausibel, dass eine einzelne Mutation einen so weitreichenden Effekt wie die Manifestation eines Diabetes mellitus nach sich ziehen kann.
Der Begriff „MODY“ trifft es nicht wirklich
Der Begriff MODY-Diabetes – Maturity Onset Diabetes of the Young – wird inzwischen kritisch diskutiert, da diese monogenetischen Diabetesformen mit dem Typ-2-Diabetes als klassischem „Maturity Onset Diabetes“ pathogenetisch nichts zu tun haben. Der Begriff war entstanden, weil die Patienten oft vor dem 25. Lebensjahr erkranken, andererseits aber Inselzell-Autoantikörper fehlen und eine – wenn auch unzureichende – Insulinsekretion vorhanden ist. Die aus heutiger Sicht unglückliche Begriffsbildung zeigt, dass die Klassifikation des Diabetes mellitus längst nicht in Stein gemeißelt ist.
Im klinischen Alltag stellt sich die Frage, wie sich seltene monogenetische Diabetesformen kalkuliert und dabei sicher identifizieren lassen. Vor dem Hintergrund, dass die beiden klassischen Diabetesformen – und hier besonders der Typ 2 – eine große Heterogenität bezüglich Pathophysiologie, Therapieansprechen und Prognose aufweisen, ist es schwierig, seltene monogenetische Diabetesformen aus dem großen Topf herauszufischen. „Man muss einen klinisch begründeten Anfangsverdacht haben und dann eine genetische Diagnostik einleiten“, erklärt Privatdozent Dr. Robert Wagner, Facharzt für Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsklinikum Tübingen.
Welche Verdachtsmomente sind relevant?
Ein wichtiges Verdachtsmoment ist – abgesehen von der skizzierten MODY-Konstellation – eine familiäre Diabetesmanifestation in lückenloser Generationsfolge. Ein Differenzierungsmerkmal gegenüber dem Typ 2 ist die bei MODY häufig fehlende Hypertriglyzeridämie. Darüber hinaus sollte man immer dann „hellhörig werden“, wenn ein Patient klinische Auffälligkeiten zeigt, die nicht so recht ins gängige Bild eines Typ-1- bzw. Typ-2-Diabetes passen.
So besteht laut Dr. Wagner bei milder, aber hartnäckiger Nüchternhyperglykämie der Verdacht auf einen MODY2 (GCK-MODY). Und eine postprandial betonte Hyperglykämie seit der Kindheit oder Adoleszenz, die nicht zu einem absoluten Insulinmangel voranschreitet, könnte auf einen MODY3 (HNF1A-MODY) hinweisen. Außerdem gibt es bei einigen MODY-Typen charakteristische Begleitsymptome, die den Arzt auf die richtige Spur bringen können. Ein Beispiel sind multiple Nierenzysten oder eine renale Dysplasie bei MODY5 (HNF1B-MODY).
MODY-Subtyp | Gensymbol | Genname | Genfunktion | Prävalenz | Besonderheiten |
---|---|---|---|---|---|
1 | HNF4A | Hepatocyte Nuclear Factor 4a | Transkriptionsfaktor | 10 % | Makrosomie, neonatale Hypoglykämie |
2 | GCK | Glucokinase | Glykolyse-Enzym | 32 % | keine Progression, keine Behandlung |
3 | HNF1A | Hepatocyte Nuclear Factor 1α | Transkriptionsfaktor | 52 % | Ansprechen auf Sulfonylharnstoff |
4 | IPF/PDX1 | Insulin Promoter Factor 1 oder Pancreas Duodenum Homeobox Protein 1 | Transkriptionsfaktor | < 6 % | permanenter neonataler Diabetes |
5 | HNF1B | Hepatocyte Nuclear Factor 1ß | Transkriptionsfaktor | < 6 % | Nierenzysten |
6 | NEUROD1 | Neurogenic Differentiation 1 | Transkriptionsfaktor | < 6 % | permanenter neonataler Diabetes |
7 | KLF11 | Krüppel-Like Factor 11 | Transkriptionsfaktor | < 6 % | - |
8 | CEL | Carboxyl-Ester Hydrolase | Lipase | < 6 % | exokrine Dysfunktion, ausgeprägte Pankreaslipomatose |
9 | PAX4 | Paired Box Gene 4 | Transkriptionsfaktor | < 6 % | - |
10 | INS | Insulin | Insulin | < 6 % | - |
11 | BLK | B-Lymphocyte Specific Tyrosine Kinase | Transkriptionsfaktor | < 6 % | - |
12 | ABCC8 | ATP-Binding Cassette Transporter C8 | Sulfonylharnstoff- Rezeptor | < 6 % | - |
13 | KCNJ11 | Potassium Voltage-Gated Channel J11p | Kaliumkanal im Pankreas | < 6 % | - |
Quelle: 78th Annual Scientific Sessions of the American Diabetes Association, Orlando 2018.
Zur Standardisierung der Differenzialdiagnostik mit Blick auf seltene monogenetische Diabetesformen wurde der „Mody Calculator“ entwickelt. Er arbeitet mit einfachen Variablen, die routinemäßig bei allen Diabetespatienten erhoben werden: Alter, Alter bei Diagnose, Geschlecht, BMI, Zeit bis zum Beginn der Insulintherapie, HbA1c, Familienanamnese. Laut Dr. Wagner bietet dieser Test eine brauchbare Entscheidungsstütze. Kritiker bemängeln allerdings, dass der „Mody Calculator“ wichtige Kriterien wie Autoantikörper und C-Peptid unberücksichtigt lässt. Durch Nachweis von persistierender Insulinsekretion (messbares C-Peptid im Plasma oder Urin) sowie von nicht erhöhten GAD oder IA-2 Antikörpertitern lässt sich die Aussagekraft des Tests weiter erhöhen, sodass ein Typ-1-Diabetes mit höherer Konfidenz ausgeschlossen werden kann.