Schlaganfall in der Schwangerschaft? Kampf um zwei Leben
Eine Schwangerschaft ist generell kein Risikofaktor für einen Schlaganfall, betonte PD Dr. Gerhard Jungehülsing, Chefarzt der Klinik für Neurologie am Jüdischen Krankenhaus Berlin. Schwangere unter 35 Jahren haben zwar ein leicht erhöhtes, ältere Schwangere dafür aber ein geringeres Schlaganfallrisiko als nicht schwangere Altersgenossinnen. Das größte Risiko besteht peripartal und früh postpartal. Jeder zweite Schlaganfall bei einer Schwangerschaft ist eine intrazerebrale Blutung. Seltene Ätiologien wie Dissektionen, offenes Foramen ovale, Sinusthrombosen, Gerinnungsstörungen und Herzklappenerkrankungen sind häufiger als in der Allgemeinbevölkerung.
Weltweit hat sich die Inzidenz von Schlaganfällen während der Schwangerschaft in den vergangenen 30 Jahren verdoppelt. Zu den Gründen gehört unter anderem die Zunahme von Spätschwangerschaften, erklärte Dr. Jungehülsing. Häufig bestehen klassische kardiovaskuläre Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Rauchen, Diabetes oder chronische Nierenerkrankung. In den USA erfolgen 7,6 % aller mütterlichen Todesfälle durch einen Schlaganfall. „Über die Risikofaktoren sollte man deshalb mit allen Frauen vor der Schwangerschaft reden“, stellte der Kollege klar und betonte: „Jede Zigarette zählt!“
Besonders deutlich erhöhen schwangerschaftsspezifische Risikofaktoren die Gefahr eines Schlaganfalls. Dazu zählen hämodynamische Veränderungen, Gerinnungsstörungen, schwangerschaftsassoziierter Bluthochdruck, Präeklampsie, reversibles zerebrales Vasokonstriktionssyndrom und posteriores reversibles Enzephalopathie-Syndrom.
Ein erhöhtes Risiko scheint auch mit der Infertilitätstherapie einherzugehen. In einer retrospektiven Kohortenstudie stieg die Inzidenz von Schlaganfällen zwölf Monate postpartal nach einer assistierten Befruchtung gegenüber einer Spontanschwangerschaft um 66 % an. Das Risiko für einen hämorrhagischen Schlaganfall verdoppelte sich.
„Besteht der Verdacht auf einen Schlaganfall in der Schwangerschaft, gilt: ‚Time is two brains‘ und ‚Neurologie first!‘“, sagte Dr. Jungehülsing. Die Bildgebung sollte mit der am schnellsten verfügbaren Methode inklusive Angiografie erfolgen. Die Therapie orientiert sich an der Schlaganfallbehandlung von Nicht-Schwangeren und umfasst auch rekanalisierende Therapien.
Die Schwangerschaft ist keine absolute Kontraindikation für eine i.v. Thrombolyse und es scheint auch kein erhöhtes Risiko für den Fetus oder für eine Plazentaablösung zu bestehen. „Wägen Sie die Risiken und Chancen der Lyse ab, aber verlieren sie keine Zeit“, mahnte der Kollege. Bei Großwandverschluss ist die mechanische Thrombektomie, wie bei anderen Schlaganfallpatienten auch, wenn möglich durchzuführen. Vor allem bei einer intrakraniellen Blutung ist eine frühe und schnelle Blutdrucksenkung wichtig, wobei aber eine ausreichende Plazenta-Perfusion zu bedenken ist. Das zeigt, wie wichtig die interdisziplinäre Schlaganfallbehandlung unter Einbezug von Gynäkologie und Geburtshilfe ist.
Letzteres gilt auch für die Planung der Geburt nach einem erfolgten Schlaganfall. Eine absolute Kontraindikation gegen eine vaginale Geburt besteht nicht, sagte Dr. Jungehülsing. Er empfahl zudem, drei Monate nach der Geburt das kardiovaskuläre Risiko zu prüfen, um gegebenenfalls sekundärpräventive Maßnahmen mit der Patientin besprechen zu können. Auch Schwangerschaftskomplikationen wie hypertensive Schwangerschaftserkrankungen, Gestationsdiabetes oder Frühgeburt erhöhen das spätere Schlaganfallrisiko, betonte er.
Quelle: 96. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie