Geldsorgen Krebspatient:innen brauchen sozialmedizinische Unterstützung 

DGIM 2023 Autor: Friederike Klein

Finanzielle Einschränkungen von Krebspatient:innen werden sowohl von Betroffenen als auch von Ärzt:innen viel zu wenig angesprochen. Finanzielle Einschränkungen von Krebspatient:innen werden sowohl von Betroffenen als auch von Ärzt:innen viel zu wenig angesprochen. © hitomi miyahara – stock.adobe.com

Wer an Krebs erkrankt, muss mit finanziellen Einschränkungen rechnen, wenn Therapie und Rekonvaleszenz länger dauern. Das wird viel zu wenig angesprochen – sowohl von Betroffenen als auch von Ärzt:innen. 

Werden sie krank, erhalten Berufstätige sechs Wochen Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber und anschließend 78 Wochen Krankengeld durch die Krankenkasse. Wer dann nicht wieder arbeiten kann – und das ist im Falle der teilweise lange dauernden Krebstherapien häufig so –, dem drohen deutliche finanzielle Einbußen. Es besteht ein hohes Risiko für eine Entlassung, dann greift das Arbeitslosengeld I (ALG I), das eine erhebliche Einschränkung bedeutet. 

Das Durchschnittseinkommen betrug in Deutschland im Jahr 2022 beispielsweise 4.105 Euro. Nach Entlassung liegt damit das ALG I für eine Person mit Steuerklasse I/IV ohne weitere Verpflichtungen für Ehepartner oder Kinder etc. gerade einmal bei 1.207 Euro, rechnete PD Dr. ­Ulf ­Seifart von der Klinik Sonnenblick, Marburg/Lahn. Viele Betroffene glauben, der Eintritt in die Rente sei die bessere Alternative. Die durchschnittliche Erwerbsminderungsrente belief sich aber beispielsweise laut der Deutschen Rentenversicherung in Hessen im Jahr 2021 auf nur 917,46 Euro und ist damit ebenfalls mit einem sehr hohen Armutsrisiko assoziiert. 

Finanzielle Sorgen verschlechtern die Prognose

In einer Untersuchung fand die Arbeitsgruppe von Dr. Seifart heraus, dass berufliche und finanzielle Sorgen bei Krebspatient:innen zu Schlafstörungen führen. Die finanzielle Toxizität von Erkrankung und Therapie kann sogar prognostisch relevant sein. In einer Studie hatten Personen mit der höchsten sozioökonomischen Deprivation gegenüber denen mit den geringsten sozioökonomischen Problemen das schlechteste Gesamtüberleben (HR 1,28), tumorspezifische Überleben (HR 1,27) und progressionsfreie Überleben (HR 1,20).

Effektive Hilfestellungen

Es gibt Möglichkeiten, das Loch nach dem Krankengeldbezug abzufangen, betonte Dr. Seifart. Die Optionen sind aber den Betroffenen oft nicht bekannt, die Wege dorthin schwierig. Zugang und Anträge zu Rente, Schwerbehindertenausweis, Arbeitsplatzberatung und Hilfen bei materieller Not müssen unterstützt werden. „Das kann man als Laie kaum alleine schaffen“, betonte der Experte. Hilfestellungen bieten Krebsberatungsstellen, die Deutsche Krebshilfe, Selbsthilfegruppen, Sozialdienste, der VdK oder Internetportale wie das der deutschen Stiftung für junge Erwachsene mit Krebs. 

Eine der effektivsten Hilfen stellt nach Ansicht von Dr. Seifart die stufenweise Wiedereingliederung (STW) dar. Die Wirksamkeit ist belegt: Die retrospektive Analyse einer Kohorte von 787 onkologischen Patient:innen ergab, dass mit STW 94 %, ohne nur 51 % nach zwei Jahren wieder an den Arbeitsplatz zurückgekehrt waren.

Dr. Seifart bat, die finanziellen Probleme der Betroffenen ernst zu nehmen und empfahl, explizit danach zu fragen. Die Patient:innen gäben das seiner Erfahrung nach von selbst meist nicht an. Die Relevanz finanzieller Sorgen ist nicht nur für das soziale Befinden, sondern auch in medizinischer Hinsicht wichtig (s. Kasten). 

Neben der finanziellen Absicherung ist die Frage, ob Betroffene wieder fit sind für den Beruf, ein wesentlicher Punkt für das soziale Wohlbefinden. Daher ist eine medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitation (MBOR) wichtig, bei der berufliche Probleme, die durch die Erkrankung oder Therapie entstanden sind, identifiziert und Lösungsmöglichkeiten aufgedeckt werden. In der Klinik Sonnenblick können Patient:innen handwerklich und körperlich im MBOR-Garten arbeiten. Dort lernen sie beispielsweise, möglichst schonend Arbeiten wie Mauern oder Pflastern auszuführen. Zur Betreuung wurden die hauseigenen Handwerker:innen fortgebildet. Ergotherapeutinnen wären hier nicht akzeptiert worden, glaubt Dr. Seifart. Es gibt Evidenz, dass die multidisziplinäre Behandlung mit Physiotherapie, Psychoedukation und berufsbildenden Elementen die Rückkehr zur Berufstätigkeit signifikant verbessert.1  

Quellen:
Seifart U. 129. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin 2023; Vortrag „Ich schaffe das nicht alleine ... bei onkologischen Erkrankungen“
1.  de Boer AG et al. Cochrane Database Syst Rev 2015; DOI: 10.1002/14651858.CD007569.pub3