Mikroplastik in der Diabetestherapie Kunststoffteile in Insulinpumpen und Verbrauchsmaterialien – ein Risiko?
In letzter Zeit gab es mehrfach Anfragen zur Verwendung von Kunststoff in Insulinpumpen und den dazugehörigen Verbrauchsmaterialien wie Infusionssets, Reservoire usw. Einerseits hat das seine Ursache sicher in allgemeinen öffentlichen Diskussionen über Mikroplastik in Flüssen und Meeren und deren Aufnahme in Speisefischen und damit letztendlich in unseren Fischmahlzeiten. Andererseits hängen diese Anfragen auch mit Sicherheitsbedenken bzgl. der verwendeten Technik zusammen.
Mikroplastik in Infusionssetschläuchen?
Zur Klärung der Frage nach Mikroplastik in Infusionssetschläuchen muss man sich den Herstellungsprozess und die Anwendung der entsprechenden Diabetestechnologie bzw. -Bauteile ansehen.
Infusionsschläuche werden mittels Extrusion hergestellt. Das heißt der Kunststoff (bei den Infusionssets wird Polyethylen verwendet) liegt zunächst in flüssiger Form vor, meist wird dazu Granulat gezielt erwärmt, bis es eine Flüssigkeit mit genau definierten Eigenschaften (Zähigkeit, Temperatur usw.) ist. Dann wird die plastisch verformbare bis dickflüssige Masse unter Druck kontinuierlich aus einer formgebenden Öffnung (meist einer Düse) herausgepresst. In der Regel härtet die Plastikflüssigkeit direkt nach dem Austritt aus der Öffnung durch Abkühlung oder mithilfe einer chemischen Reaktion aus. So entsteht der Infusionsschlauch.
Vergleichbare Prozesse betreffen auch Plastikformteile, wie den Anschlussadapter an die Insulinampulle, den Kanülenkopf, Kunststoffampullen usw.). Auch diese entstehen in der Regel im Spritzgussverfahren. Das Zusammenfügen der Teile (Adapter, Kanülenkopf) erfolgt meist thermisch oder mechanisch (anpressen bzw. andrücken), auch durch Verschweißen, je nachdem. Jedenfalls gibt es nach meiner Kenntnis im gesamten Produktionsprozess keine Materialzerkleinerung (Abschleifen etc.). Damit entstehen keine Plastikabfälle, also auch keine Abriebe oder Ähnliches und natürlich auch kein Mikroplastik.
An dieser Stelle sei erwähnt, wo Mikroplastik eigentlich entsteht. Am prominentesten ist dieses Thema in Flüssen und im Meer. Die Plastikflaschen und andere Abfälle reiben durch die Bewegung des Wassers aneinander. So entsteht Mikroplastik. Vergleichsweise gibt es keinen Prozess und keine Anwendung in der Therapie, bei der mit Produkten der Insulinpumpenanwendung Mikroplastik entsteht – auch nicht im Herstellungsprozess.
Es ist nicht verwunderlich, wenn es zum Thema Mikroplastik und Diabetestechnologie (Infusionsschläuche, Anschlüsse, Kunststoffampullen, auch Pumpen und Pens und bei eher nur selten verwendeten Kunststoffspritzen) keine Studien gibt. Was soll untersucht werden, wenn bisher keinerlei Probleme in dieser Richtung aufgetreten sind? Eine Studie muss begründet sein, denn sie ist eine kostspielige Angelegenheit. Das würde letztendlich auch den Preis der Produkte erhöhen. Begründete Studien – immer, auf Verdacht hin – das tut man u.a. auch aus letztgenanntem Grund nicht.
Verwendung von Kunststoff-Reservoiren in Insulinpumpen
Anfragen gab es auch zum Thema „Ausflocken von Insulin“ im Pumpensystem, sichtbar am ehesten in den Infusionssetschläuchen und den Ampullen. Dabei geht es im Grunde genommen um die Wechselwirkung von Insulin mit der Kunststofffläche im Inneren der genannten Materialien. Die Moleküle jeder Flüssigkeit (auch von Gasen) lagern sich an der Oberfläche an. Ist deren Wechselwirkung mit der Oberfläche groß, so tritt eine höhere Adhäsionskraft auf. Das kann dazu führen, dass das Insulin denaturiert, praktisch dann ausflockt. Bei Kunststoff ist diese Adhäsionskraft höher als bei Glas (bei Glasampullen), die Gefahr der Denaturierung folglich höher.
In der Anfangszeit der Pumpentherapie (Anfang der 1990iger-Jahre) gab es mit den damals verfügbaren Regularinsulinen (Human-, aber auch Tierinsulinen) nach mehrtägiger Nutzung Probleme (Ausflocken wegen Denaturierung und in deren Folge Katheterverschlüsse) mit den Infusionssets. Diese bestanden damals aus PVC-Material. Seitens der Ampullen traten solche Probleme nicht auf, weil zu jener Zeit nur Glasampullen verwendet wurden. Um das Thema zu beherrschen, wurden speziell für Insulinpumpen entwickelte Insuline auf den Markt gebracht, u.a. von der Firma Hoechst (heute Sanofi) das H-TRONIN. Heute existiert dieses Human-Insulin nach wie vor als insuman infusat. Es ist mit Genapol stabilisiert, was dessen Wechselwirkung mit Kunststoffwänden deutlich verringert. Das „Ausflocken“ blieb so weitgehend aus. Gleichzeitig wurden aber auch die Infusionssets umgestellt: statt PVC wurde nun Polyethylen verwendet, was ebenfalls die Wechselwirkung mit dem Insulin verringerte. Sozusagen ergab sich damit eine doppelte Sicherheit. Als die Insulinanaloga eingeführt wurden (als erstes Humalog 1996), untersuchte man natürlich auch deren Verwendung in Insulinpumpen und das selbstverständlich mit Polyethylen-Kathetern. Das Ergebnis: Obwohl die Insulinanaloga nicht speziell für die Insulinpumpenanwendung stabilisiert waren, gab es keine wesentlichen Denaturierungs- oder andere Haltbarkeitsprobleme.
Dem aktuellen Wissen nach sind alle mit Insulin in Berührung kommenden Teile aus Polyethylen, auf keinen Fall aus PVC, sodass keine Denaturierungen des Insulins auftreten, jedenfalls nicht im Zeitraum einer Reservoirfüllung.
Das Insulin verändert sich dabei praktisch nicht. Zu bemerken ist noch, dass es bei den Reservoiren noch einen anderen Aspekt gibt: die mechanische Sicherheit. Das heißt es geht hier um den Stopfen im Reservoir, der leicht gängig, dabei aber auch dicht sein soll. Die Forderung nach Dichtheit ist ein wesentlicher Grund, das Reservoir nicht mehrfach zu verwenden.
Grundsätzlich gilt: Man sollte sich hier an den Angaben der Firmen orientieren. Denaturierung, nachfolgend Okklusion - das ist eigentlich kein Thema. Aber trotzdem ist Achtung geboten. Die Sicherheit ist gegeben bei den Originalprodukten. Mitunter treten aber Nachahmer auf den Markt, von denen über die verwendeten Materialien wenig bekannt ist. Da ist Vorsicht geboten.
Pumpentherapie (CSII oder AID): ja oder nein?
Natürlich bleibt es immer der Entscheidung eines Anwenders überlassen eine Insulinpumpe mit all ihren Materialien zu benutzen. Bei Zweifeln bzgl. Mikroplastik o.Ä. sollte dieser einiges abwägen: Wie gut kommt man mit der intensivierten Insulintherapie zurecht bzw. wie gewährleistet diese eine gute Stoffwechseleinstellung? Was passiert, wenn man generell von CSII/AID zu einer ICT übergeht, bei der auch in geringen Mengen Mikroplastik entsteht? Bedeutet dies ggf. eine solche Verschlechterung der Stoffwechsellage, dass diabetische Folgeerkrankungen wahrscheinlicher werden? Was ist das größere Übel? Die Beantwortung dieser Fragen muss ein Anwender selbst vornehmen.
Take-AWAYS
- Kunststoffteile in Pumpensystemen und Infusionssets bestehen aus Polyethylen, was die Wechselwirkung mit Insulin minimiert. Der Produktionsprozess der Teile und die therapeutische Verwendung schließen die Entstehung von Mikroplastik aus.
- Moderne Materialien und stabilisierte Insuline verhindern eine Denaturierung und Katheterverschlüsse.
- Zur Sicherheit sollten nur Originalprodukte der Hersteller verwendet werden, da Nachahmerprodukte unbekannte Risiken bergen können.