Epilepsie Langzeit-EEG to go
Mit dem Routine-EEG werden etwa 70 % der Anfallsmuster erkannt, mit dem Langzeit-EEG im Krankenhaus etwa 80–85 %. Durch ultralange EEG-Registrierungen über Wochen bis Monate könnte der Anteil auf 90–95 % erhöht werden, erklärte Prof. Dr. Andreas Schulze-Bonhage vom Epilepsiezentrum des Universitätsklinikums Freiburg.
Ein konventionelles Skalp-EEG eignet sich für die Ultra-Langzeit-Ableitung nicht. Die Elektrodenpflege ist zu komplex, die Signalstabilität fraglich. Es gibt Probleme mit der Hautverträglichkeit über längere Anwendungsdauer und die starke Sichtbarkeit stigmatisiert. Miniaturisierte Elektroden lösen zwar das Verträglichkeitsproblem und fallen kaum auf. Doch sie sind mechanisch instabil und für eine Anwendung über mehr als acht Stunden nicht geeignet. Ambulatorische Systeme mit Wegwerfelektrodensets gibt es, sind aber nur über einige Tage einsetzbar.
„Was wir brauchen, sind wirklich mobile EEG-Systeme“, betonte Prof. Schulze-Bonhage. Die aktuell verfügbaren oder in Entwicklung befindlichen haben seiner Auffassung nach aber noch Tücken. Ihre Sensitivität und Spezifität seien bei einer ausschließlich automatisierten Analyse nicht ausreichend.
Als Beispiel nannte Prof. Schulze-Bonhage ein Ultra-Langzeit-EEG, bei dem eine Elektrode subkutan hinter dem Ohr implantiert wird. Zwar ist die Signalqualität sehr gut und interiktale Spikes wie auch iktale Anfallsmuster werden erkannt, erklärte der Kollege. Muster von Artefakten, beispielsweise durch Kauen, zu unterscheiden, fällt allerdings schwer. Zudem korreliert die Anfallsdetektion nicht mit den Aufzeichnungen der Patienten. So variiert die Anfallszahl um den Faktor 10. Es gibt divergente zeitliche Informationen über die Ereignisse und unterschiedliche Trends in der Entwicklung der Anfallsfrequenz.
„Man kann bestimmte Informationen entnehmen, etwa bestimmte Zeiten, zu denen Anfallsereignisse auftreten. Aber die individuelle Korrelation mit dem, was ein Patient dokumentiert, ist außerordentlich schlecht“, fasste Prof. Schulze-Bonhage zusammen. Außerdem müsse noch validiert werden, was die diversen Anfallsmuster im Ultra-Langzeit-EEG im Einzelnen bedeuten.
Weitere Systeme für ultralange Ableitungen stehen hierzulande noch nicht zur Verfügung. In Australien wurde ein System mit bilateraler subkutaner Ableitung über beiden Temporallappen entwickelt (Epiminder, aktuell noch nicht CE-zertifiziert). Für die prächirurgische Diagnostik ist es interessant, meinte Prof. Schulze-Bonhage. Er berichtete über eine Studie mit Patienten, bei denen eine unilaterale Epilepsie vermutet worden war. In einem Drittel der Fälle zeigte sich nach der EEG-Ableitung über einen Monat, dass es sich um eine bilaterale mesiale Temporallappenepilepsie handelte.
Eine weitere zukünftige Option könnte die Nutzung von Stimulationssystemen, etwa EASEE, sein, um Anfallsmuster über lange Zeit zu dokumentieren, meinte Prof. Schulze-Bonhage.
Aktuell sieht er noch viele Limitationen für das Ultra-Langzeit-EEG, sei es in der Kanalzahl, der regionalen Erfassung der epileptischen Aktivität, dem Komfort der Datenübertragung – der Patient muss ein Gerät mit sich führen – und in der Kostenübernahme. „Mit den Krankenkassen wird noch verhandelt“, sagte der Kollege. Auch der Aufwand auf ärztlicher Seite sei erheblich. Derzeit rechnet er mit zusätzlich 45 Minuten EEG-Analyse pro Monat für das Sichten und Aussortieren der Artefakte in der Aufzeichnung. Alles anschauen könne man natürlich nicht, betonte er.
Indikationen für das Ultra-Langzeit-EEG
Als wichtige Einsatzmöglichkeiten der Langzeitmessungen nannte Prof. Schulze-Bonhage:
- Verifizierung der Epilepsiediagnose
- Dokumentation der Anfallsfrequenz
- Objektivierung von Therapieeffekten
- Anfallsvorhersage
- Alarmierung von Angehörigen, Pflegepersonal oder Notruf
- in der Zukunft: Closed-Loop-Behandlungen
Quelle: Kongressbericht Neurowoche 2022