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Glioblastom Maligne Netzwerke treiben Tumoren und stützen Resistenz

Neurowoche 2022 Autor: Manuela Arand

Neuronale Netze sind auch in Tumoren außerhalb des Gehirns zu finden. Neuronale Netze sind auch in Tumoren außerhalb des Gehirns zu finden. © peterschreiber.media – stock.adobe.com
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Gliome entwickeln unter neuronaler Beteiligung zelluläre Netzwerke, die Proliferation, Invasion und Resistenz steuern. Das eröffnet ganz neue Behandlungsansätze: Gelingt es, die Schrittmacherzellen des Netzwerks auszuschalten, sterben Tumorzellen und die Empfindlichkeit gegen Therapien steigt.

Die Rolle des Nervensystems für Entstehung, Wachstum und Ausbreitung maligner Tumoren hatten Forscher lange nicht auf dem Schirm. Das ist erstaunlich, denn neuronale Impulse steuern praktisch alle physiologischen und pathophysiologischen Prozesse. Durch parakrine Interaktion mithilfe von Zytokinen, Neurotransmittern und Neurotrophinen treibt das Gehirn die Tumoren an. Es gibt auch direkte Synapsen zwischen Neuronen und Tumorzellen und neuronale Netze im Tumor, erklärte Prof. Dr. Frank Winkler, Universität Heidelberg. Dies gelte auch für Tumoren außerhalb des Gehirns.“ 

Einige zentrale Projekte der Forschungsgruppe um den Kollegen befassen sich mit „malignen Netzwerken“ im Gehirn und der Rolle, die das Gehirn bei der Entwicklung maligner Tumoren übernimmt. Forciert es selbst das Tumorwachstum? Machen sich Tumorzellen neurale Mechanismen zunutze? Gibt es ungünstige Feedbackschleifen? Und falls ja: Lässt sich das therapeutisch nutzen?

Hirntumoren entwickeln sich ähnlich wie das Gehirn selbst. Dies stellten die Wissenschaftler fest, als sie in Maushirne implantierte humane Tumorzellen per intravitaler Photonenmikroskopie beim Wachstum beobachteten. „Die Zellen bilden lange, von Neuriten nicht zu unterscheidende Fortsätze, an denen sie sich entlanghangeln und das Gehirn extrem erfolgreich kolonisieren“, so Prof. Winkler. Über diese Microtubes getauften Membranschläuche entstehen kommunizierende Netzwerke, welche zelluläre Homöostase stützen und Therapieresistenz fördern. Solche Netzwerke finden sich bei allen Gliomen. 

Spannend wird es, wenn man eine Zelle im Netzwerk gezielt mit einem Laserstrahl tötet. Das Netzwerk reagiert unverzüglich: „Die Nachbarzellen gucken, was dem toten Freund passiert ist, und eine andere Zelle, die über sehr komplexe Knoten mit ihm verbunden ist, fängt an, sich zu teilen“, erzählte Prof. Winkler. Sie bildet einen neuen Microtube, der den Tochterzellkern binnen 24 Stunden genau dorthin bringt, wo die tote Zelle sich befand. Nach 60 Stunden hat sich die neue Zelle ins Netzwerk integriert. Das heißt: Das Netz ist fähig, die eigene Integrität zu überwachen und eine komplexe Form der Selbstreparatur vorzunehmen. Das erklärt, warum es so schwierig ist, diese Tumoren zu behandeln. Denn Selbsterkenntnis und Selbstreparatur laufen nach Tumorchirurgie, Strahlen- oder Chemotherapie genauso ab. Nicht verbundene Tumorzellen sterben ab und bleiben weg, aber das Netzwerk ist das resiliente Rückgrat der Erkrankung, aus dem das Rezidiv entsteht. 

Hier kommt das Nervensystem ins Spiel: Es entstehen Netzwerke mit exzitatorischen Neuron-Tumor-Synapsen, wobei die Tumorzelle immer den postsynaptischen Partner darstellt, also den Signalempfänger. Die neuronale Stimulation der 
AMPA-Rezeptoren auf Tumorzellseite aktiviert das Netzwerk und treibt den Tumor zu schnellerem Wachstum und schnellerer Ausbreitung, steigert also die Malignität. Das gilt übrigens nicht nur für originäre Hirntumoren, sondern auch für zerebrale Metastasen und wahrscheinlich auch für die meisten soliden Tumoren außerhalb des Gehirns.

Bei Glioblastomen konnte ein Heidelberger Doktorand Zellen nachweisen, die autonom – also ohne Beteiligung von Neuronen
eine rhythmische Aktivität zeigen und die Kalziumaktivität in anderen Tumorzellen triggern. Es sind nicht viele, nur etwa 2 bis 6 % der Tumorzellen, aber sie sind stark verbunden und wirken wie Schrittmacher im Netzwerk. „Wenn man eine solche Zelle diskonnektiert z.B. mit einem Gap-Junction-Hemmstoff, wird das Netzwerk stumm, aber die Schrittmacherzelle läuft autonom weiter“, berichtete Prof. Winkler. 

Die gute Nachricht: Diese ausgeklügelten Mechanismen sind zwar hocheffektiv, aber nicht unverwundbar. Zufällige Schäden kann ein solches Netzwerk, dessen Aufbau dem des Internets ähnelt, locker kompensieren. Aber die gezielte Stilllegung der Schrittmacherzellen schaltet das ganze Netzwerk aus. „Das öffnet ganz neue Ideen für gezielte Therapien, die nur einen winzigen Teil der Tumorzellen aufs Korn nehmen“, meinte Prof. Winkler. „Das könnte auch Standardtherapien effektiver machen und deren Toxizität reduzieren.“

Ein Schlüssel dazu liegt möglicherweise in kalziumsensiblen Kaliumkanälen, genauer gesagt im Kanal KCa3.1, über den u.a. der MAP-Kinase- und NFκB-Signalweg aktiviert werden. Beide spielen eine wichtige Rolle beim Glioblastom. Es gibt sogar schon einen spezifischen KCa3.1-Inhibitor: Der Wirkstoff Senicapoc, ursprünglich entwickelt zur Behandlung der Sichelzellanämie, hat schon Phase-3-Studien durchlaufen. Seine wichtigsten Eigenschaften sind also bekannt – er ist oral verfügbar, gut verträglich und passiert die Blut-Hirn-Schranke. Im Mausmodell konnte gezeigt werden, dass er Schrittmachersignale ausschaltet, woraufhin der Tumor die Proliferation einstellt und es zum sekundären Tumorzelltod der abhängigen Zellen kommt. 

Eine andere interessante Substanz ist das Antikonvulsivum Perampanel, das als nicht-kompetitiver Antagonist am AMPA-Rezeptor sowohl auf neuronaler als auch auf Tumorseite wirkt. Prof. Winkler setzt Perampanel gerne bei Patienten ein, die eine schwierige Epilepsie bei Hirntumor haben. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat die Förderung einer Phase-2-Studie beim rezidivierten Glioblastom übernommen, die im Februar starten soll. Aktuell läuft bereits eine Phase-2-Studie mit einem Gap-Junction-Inhibitor, ebenfalls mit BMBF-Förderung. „Die Herausforderung wird sein, die Integrität normaler Nervensystemfunktionen zu schützen“, meinte Prof. Winkler abschließend. 

Quelle: Kongressbericht Neurowoche 2022