
Interview „Man hat wahnsinnig viele Stellschrauben“

Alessandro, Du bist neu in der Runde. Wie kommst du zur AG Nachwuchs und wie erlebst du sie?
Alessandro Falcone: Zur AG bin ich durch meine Doktorarbeit am Deutschen Diabetes-Zentrum gekommen. Im Oktober 2022 habe ich die Diabetes Herbsttagung besucht – und da war ich direkt begeistert, weil man von der AG so gut in die Tagung eingeführt und sehr gut aufgenommen wird. Seitdem bin ich eigentlich bei jedem Kongress dabei.
Bei einer eurer Veranstaltungen habt ihr etwas Neues ausprobiert: eine „Plate Challenge“. Da hat man diskutiert, wie viele Kohlenhydrate ein Lebensmittel hat. Seid ihr mit diesem Format in eine Lücke gestoßen?
Jasmin von Zezschwitz: Ich glaube schon, dass es eine Lücke ist, weil die Medizin sich ja manchmal so ein bisschen in der Medizin verliert. Als wir für die Tagung geplant haben, ist uns aufgefallen, dass mitten unter uns Menschen mit Typ-1-Diabetes sind; Typ-2-Diabetes weiß ich nicht genau. Ich lebe selbst mit Typ-1-Diabetes, und da dachten wir: Es bietet sich doch an, einfach mal aufzuzeigen, was aus medizinischer Sicht manchmal vielleicht gar nicht mitgedacht wird. Deswegen waren wir auch ganz, ganz dankbar für das Tagungsmotto „Der Mensch im Mittelpunkt“. Es ist so wichtig, den Menschen wieder in den Mittelpunkt zu rücken, denn am Ende des Tages passiert alles auf diesen Kongressen, damit wir Menschen helfen können. Manchmal denkt man ja, es geht vor allem um die Forschung an sich, aber es sollte ja immer mit einem Ziel geforscht werden. Und das ist gerade in der Diabetologie eigentlich wahnsinnig einfach, denn wir haben ein ganz breites Spektrum an Ansatzpunkten, wo man helfen kann.
Alessandro, du bist erfolgreicher Podcaster und in deinem LinkedIn-Profil steht: „Meine Mission: so vielen Menschen wie möglich dabei helfen, ihre Gesundheit in die eigene Hand zu nehmen und ihr genetisches Potenzial voll auszuschöpfen.“ Wie kommst du damit voran?
Falcone: Also, wenn ich ein, zwei Menschen zu einem gesunden Lebensstil motivieren kann, habe ich schon mal alles richtig gemacht. Mein Ziel ist es, den Menschen durch die Interviews mit Experten wissenschaftlich fundierte, hochaktuelle Informationen zur Verfügung zu stellen – quasi als Hilfe zur Selbsthilfe. Denn ja, wir haben in der Wissenschaft oft die Tendenz, uns in Fachbegriffen zu verirren. Ich glaube, die Kunst ist es, komplexe Themen in einer einfachen Sprache zu vermitteln, und zwar auf eine moderne Art, also durch Medien wie Podcasts und Social Media. Da können wir viel machen, denn die Menschen sind auf Social Media, die Menschen sind im Internet, und wenn wir sie dort abholen und erreichen, können wir sehr viel bewegen.
Von Zezschwitz: Das Thema Prävention hat uns auch in der Vorbereitung auf die Herbsttagung beschäftigt. Menschen informieren, Menschen dazu anleiten, sich selbst zu helfen, darum geht es. Es gibt immer einen Punkt, wo man ansetzen kann. In Zukunft wollen wir uns auch in der AG Prävention einbringen. Denn es fehlt noch so ein bisschen dieser moderne Ansatz, den Alessandro verfolgt und bei dem es darum geht, die Menschen abzuholen. Das möchten wir vorantreiben.
Lasst uns noch einmal auf die Aktivitäten der AG schauen …
Von Zezschwitz: Wir freuen uns immer, wenn wir Leute vernetzen können – ich glaube, das ist auch einer der größten Gewinne dieser Kongresse. Mein erster Kongress war online, während der Pandemie. Und dann war ich das erste Mal vor Ort dabei und total begeistert von den Kontakten. Das Netzwerken und sich über neue Ideen auszutauschen, bringt uns alle nach vorne.
Natürlich ist es unser Ziel, Leute in die Diabetologie zu bringen. Wir versuchen, unser Angebot immer so breit und trotzdem so spezifisch wie möglich zu gestalten. Das ist manchmal ein ganz schmaler Grat, weil man auch hier gucken muss: Wo kann man die Leute abholen?
Wichtig ist uns auch, Leuten in den Nachwuchssymposien zu ermöglichen, ihre eigene Forschung vorzustellen und sie mit großen Namen zusammenzubringen. Es findet da ganz viel Vernetzung statt – und viele finden darüber ihre Traumstelle.
Traumstelle ist ein gutes Stichwort: Wie stellt ihr euch den idealen Arbeitsplatz vor?
Falcone: Diese Frage stellt man sich als angehender Arzt häufig. Möchte ich in die Wissenschaft? Möchte ich mich niederlassen? Wissenschaft ist zwar super spannend. Geht man aber in die Forschung, wird man nischig und fokussiert darauf komplett seine Ressourcen. Ich sehe mich eher als Wissenschaftskommunikator, der Forschung übersetzt in eine verständliche Sprache für die breite Masse – und das kombiniert mit der eigenen ärztlichen Tätigkeit. Ich kann mir irgendwann definitiv eine Niederlassung vorstellen. Super, super wichtig ist dabei das ärztliche Gespräch, das leider oft vernachlässigt wird.
Von Zezschwitz: Ich wünsche mir, dass der Arbeitsplatz der Zukunft sehr menschenzentriert ist. Was oft fehlt, ist Zeit. Ich kenne das aus Patientensicht, aber auch von der anderen Seite. Man wünscht sich oft, dass man noch über ein bestimmtes Thema gesprochen hätte. Und das hat ja auch wieder ganz viel mit der Frage zu tun, wie man Menschen erreichen kann. Vielleicht brauchen wir dafür neue Formate, neue Ansätze.
Nun die entscheidende Frage: Warum sollten junge Menschen sich für die Diabetologie entscheiden?
Von Zezschwitz: Wir wollen, dass Leute die Diabetologie erleben und so ein bisschen ihr Herz daran verlieren. Diabetes ist ein Bereich, in dem man eine Million Möglichkeiten hat. Man kann sich spezialisieren oder auch sehr breit aufgestellt bleiben. Man hat wahnsinnig viele Stellschrauben, an denen man Menschen helfen kann. Und das, finde ich, ist eine Chance, die man in wenigen Bereichen hat. Und deswegen ist – und das darf ich sagen als Mensch mit Typ-1-Diabetes – Diabetes eine wirklich gute Krankheit.
Falcone: Das Positive aus ärztlicher Perspektive ist, dass man einfach einen sehr, sehr großen Impact hat. Das ist in anderen Fächern oft ganz anders. Da kann man als Arzt die Erkrankung diagnostizieren, aber therapeutisch unter Umständen nicht so viel machen. Dieser große Impact ist für die Motivation eines Arztes oder einer Ärztin sehr, sehr schön.
Interview: Günter Nuber, Michael Reischmann; Zusammenfassung: Nicole Finkenauer