Deutschland Nachholbedarf bei der Tabakkontrolle
Gemäß Europe’s Beating Cancer Plan sollen im Jahr 2040 nur noch weniger als fünf Prozent der Bevölkerung Tabak konsumieren. Ziel ist eine tabakfreie Generation, berichtete Dr. Ulrike Helbig, Leiterin des Berliner Büros der Deutschen Krebshilfe. Aktuell liegt die Quote europaweit bei 25 %, bis zum Jahr 2025 soll sie bereits auf 20 % gesunken sein. Als vorrangige Stellschrauben in diesem Prozess hat die Europäische Union den Zugang für junge Menschen sowie die Besteuerung von Tabakprodukten ausgemacht, so die Referentin.
Deutschland hinkt hinsichtlich der Tabakkontrolle den meisten europäischen Nachbarn weit hinterher. Nach vielen Jahren als Schlusslicht auf der Tobacco Control Scale landete es bei der aktuellen Auswertung 2021 auf Platz 34 von 37 europäischen Ländern. „Da tut sich also nicht so wirklich viel und es gibt Handlungsbedarf“, betonte Dr. Helbig.
Für das schlechte Abschneiden lässt sich eine ganze Reihe von Gründen finden. Prof. Dr. Daniel Kotz vom Institut für Allgemeinmedizin des Universitätsklinikums Düsseldorf zählte auf:
- Tabak ist zu billig.
- Es gibt keine komplett rauchfreien Lebenswelten.
- Die Ausgaben für Aufklärungskampagnen sind zu gering.
- Werbung, Promotion und Präsentationsdisplays sind immer noch nicht vollständig verboten.
- Es gibt keine standardisierten Einheitsverpackungen („plain packaging“).
- Flächendeckende Therapieangebote fehlen.
- Therapiekosten für einen Rauchstopp werden nicht vollständig erstattet.
In Großbritannien, das gemeinsam mit Irland auf Platz 1 des europäischen Rankings liegt, ist man offensichtlich schon einige Schritte weiter. Dort wird laut Prof. Kotz bereits seit 2007 eine konsequente Tabakkontrollstrategie umgesetzt. So sind etwa Raucherecken hinterm Krankenhaus passé, eine Packung Zigaretten kostet umgerechnet 15 Euro. Im ganzen Land wurden niederschwellige Stop-Smoking-Services eingerichtet, Therapie- und Medikamentenkosten im Rahmen des Rauchstopps werden bezahlt. Aktuell liegt die Raucherprävalenz in Großbritannien bei 15 %, in Deutschland sind es nach der aktuellen DEBRA*-Studie etwa 30 %.
Stationäre Patienten zum Rauchstopp motivieren
Ein Klinikaufenthalt ist prinzipiell gut geeignet, um eine Tabakentwöhnung anzustoßen, berichtete Till Eicken, Referent für Qualitätssicherung der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). Bereits seit 2016 gibt es die OPS-Ziffer 9-501 Multimodale stationäre Behandlung der Tabakentwöhnung. Sie ist allerdings nicht vergütungsrelevant und wurde 2022 nur 41 Mal kodiert. Die DKG schlug deshalb vor, die Tabakentwöhnung per Qualitätsvertrag zu erproben. Seit dem 1.1.2023 sind Krankenkassen per Gesetz zur Finanzierung von Qualitätsverträgen verpflichtet und müssen 30 Cent pro Versicherten dafür aufbringen. Für das Krankenhaus ist der Abschluss freiwillig. Der Gemeinsame Bundesausschuss ist dem Vorschlag der DKG am 21. Juli 2022 trotz starker Ablehnung seitens der Kassen gefolgt, berichtete Eicken. Nun müsse man die Auswertung der Erprobungsphase und ein Beteiligungsverfahren abwarten. Voraussichtlich 2024 soll der Abschluss von Qualitätsverträgen möglich sein.
„Wir bewegen uns im Schneckentempo in die richtige Richtung“, konstatierte Prof. Dr. Wulf Pankow, bis 2019 Chefarzt der Klinik für Innere Medizin – Pneumologie und Infektiologie am Vivantes Klinikum Berlin-Neukölln. Um den Fortschritt in Sachen Tabakentwöhnung hierzulande zu beschleunigen, fordert er in Anlehnung an die Punkte der Tobacco Control Scale die rasche Umsetzung folgender Maßnahmen:
- bei jedem Arztkontakt den Rauchstatus dokumentieren
- hausärztliche Kurzintervention gegen das Rauchen honorieren
- deutschlandweit Rauchstopp-Netzwerke aufbauen
- kostenfreien Zugang zu Netzwerken und Entwöhnungsprodukten (Nikotinersatz, Medikamente) gewährleisten
Sobald diese Kriterien flächendeckend erfüllt sind, könnte auch Deutschland im Ranking ins Mittelfeld vorrücken. Die Strategie für ein tabakfreies Deutschland bis 2040 ist allerdings deutlich umfangreicher, so Prof. Pankow. Schon hinsichtlich der konkreten Vorgaben bis 2025 ist er skeptisch.
* Deutsche Befragung zum Rauchverhalten
Kongressbericht: 63. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin