Magnetstimulation Neurologischer Einsatz genug untersucht?
Die transkranielle Magnetstimulation (TMS) hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stetig fortentwickelt und ein wachsendes Indikationsspektrum erobert, erklärte Prof. Dr. Saša Filipović, Universität Belgrad. Sie basiert auf dem Konzept, dass durch wiederholte Applikation der Reize plastische Veränderungen im kortikalen Zielareal im Sinne einer Langzeitpotenzierung oder -depression (LTP/LTD) induziert werden. Diese sollen wiederum die Exzitabilität und Aktivierung der Neuronen verstärken oder abmildern. Vom Ort der Stimulation breiten sich die Veränderungen aus und bewirken über funktionelle neuronale Netzwerke Verhaltens- und Symptomänderungen.
Die erste zugelassene Indikation war nicht Bewegungsstörungen, wie ursprünglich intendiert, sondern die therapierefraktäre Depression. In den letzten Jahren sind einige psychiatrische Indikationen dazugekommen. Die Neurologen hinken den Psychiatern hinterher, auch was randomisierte klinische Studien angeht, die für eine Zulassung taugen. „Trotzdem haben wir genügend Evidenz und Wissen akkumuliert, um die repetitive TMS bei verschiedenen neurologischen Erkrankungen einzusetzen“, meint Prof. Filipović. Er erinnerte daran, dass 2014 die erste evidenzbasierte Leitlinie dazu veröffentlicht und kürzlich aktualisiert wurde.
Level-A-Evidenz für einige Indikationen
Schon in der ersten Version gab es eine Klasse-A-Empfehlung für den neuropathischen Schmerz. Der hochfrequenten Stimulation des kontralateralen primären Motorkortex wurde eine umso stärkere analgetische Wirkung bescheinigt, je häufiger man die TMS wiederholt. Weitere Indikationen, für die die TMS laut Leitlinie teilweise mit Level-A-Evidenz infrage kommt, sind Aphasie nach Schlaganfall, motorische Rehabilitation in der postakuten Phase bis sechs Monate nach dem zerebralen Insult, Migräneprävention, Demenz sowie Parkinson. „Ich glaube, die Zeit ist für diesen Ansatz gekommen“, lautete das Fazit von Prof. Filipović.
„Es gibt noch zu viele unbeantwortete Fragen“, entgegnete Prof. Dr. Letizia Leocani, Universität Mailand. TMS bei neurologischen Erkrankungen einzusetzen, ist nach ihrer Überzeugung viel komplizierter als bei psychiatrischen Entitäten, bei denen die Zielstrukturen gut definiert sind, relativ oberflächlich liegen und deshalb einfach zu erreichen sind. Wie Prof. Filipović hat auch sie an der Leitlinie mitgeschrieben, verwies aber darauf, dass zwei brauchbare Studien mit 50 Patienten je Therapiearm schon ausreichten, um eine Klasse-A-Empfehlung zu bekommen.
Die Studienqualität krankt oft an der Schwierigkeit, die Placebokontrolle mit Sham-Prozeduren sicherzustellen. „Kein Arzneimittel würde auf dieser Basis eine Zulassung erhalten, p-Wert hin oder her“, so die italienische Kollegin. „Wenn wir wollen, dass repetitive TMS so ernst genommen wird wie ein Medikament, sollten wir uns auch an die Regeln halten, die dafür gelten.“ Außerdem müssten vor einer breiten Anwendung viele Fragen geklärt sein: Wer soll behandelt werden, wie und wie oft mit welcher Dosis? Wann sollte eskaliert, wann deeskaliert werden und wie sieht ein Erhaltungsregime aus? Wie schwierig es sein kann, die Indikation korrekt zu stellen, spiegelt sich darin, dass sich oft Patienten zur TMS vorstellen, die keine adäquate Vortherapie erhalten haben oder eine unbehandelte Major Depression aufweisen. Außerdem gibt es Hinweise, dass mehr TMS nicht mehr Wirksamkeit bringt, sondern kontraproduktiv wirken kann. Die Dosisfrage muss also genau geklärt werden. „Ich sage nicht, dass repetitive TMS nutzlos ist, aber wir brauchen mehr Daten und wir müssen beweisen, dass die Therapie dem Patienten nutzt, bevor wir sie ihm vorschlagen“, forderte Prof. Leocani. Viele Kollegen im Publikum hat sie überzeugt: Wollten anfangs noch 58 % den Sofortstart für die repetitive TMS in der Neurologie, waren es am Ende der Diskussion nur noch 42 %.
Kongressbericht: 8th Congress of the European Academy of Neurology