Tinnitus Ohrgeräusche zentral angehen
Das Frequenzband des Hörverlustes bestimmt meist die Tonlage des Tinnitus. Im auditorischen Kortex entspricht das Ohrenklingeln einem Phantomgeräusch, erklären Prof. Dr. Gerhard Hesse von der Tinnitus-Klinik in Bad Arolsen und Kollege. Bei der Wahrnehmung der Geräusche kommen zwei Mechanismen zusammen: Die Inhibition der entsprechenden Frequenzen nimmt ab. Zusätzlich kommt es zur kortikalen Verstärkung. Fokussieren und Hinwendungsreaktionen intensivieren die Hörstörung noch. Wird die Schwerhörigkeit der Betroffenen behandelt, kann der Teufelskreis unterbrochen werden.
Liegt die Ursache der Hypakusis im Mittelohr (Otosklerose, chronische Otitis media) hilft womöglich eine Operation. Sind die Haarzellen im Innenohr geschädigt, was wesentlich häufiger vorkommt, sollten aus Sicht der Autoren moderne Hörgeräte oder Cochleaimplantate eingesetzt werden, um die Tinnitusbelastung zu reduzieren. Eine entsprechende Empfehlung ging auch in die Leitlinie zum chronischen Tinnitus ein.
Positive Effekte auch auf die kognitiven Fähigkeiten
Die Betroffenen profitieren offenbar von der Hörverbesserung im Störschall, auch bei grenzwertigem Hörverlust. Eine Verstärkung des Hochtonbereiches scheint gegen die Tinnitusbelastung und die Lautheit der Ohrgeräusche mehr zu wirken als nur tieffrequente Verstärkung. Die Hörgeräteanpassung zahlte sich besonders bei solchen Patienten aus, die eine Besserung ihres Hörens selbst wahrnehmen konnten. Eine gute Anpassung mit subjektivem Hörgewinn scheint also zielführend für die Tinnitustherapie zu sein. Patienten können durch Hörgeräte außerdem durch deren positive Wirkung auf die kognitiven Fähigkeiten profitieren. Auch die Entwicklung einer Demenz könnte ausgebremst werden.
Cochleaimplantate mindern die Tinnitusbelastung bei Patienten mit hochgradiger Schwerhörigkeit offenbar signifikant, unabhängig vom Alter der Betroffenen. Die Geräte können einseitig oder beidseitig eingesetzt werden und sind bei asymmetrischem Hörverlust und einseitiger Taubheit wirksam. Somit ging die Empfehlung zu den Implantaten bei entsprechender Schwerhörigkeit oder Ertaubung sowie Tinnitus in die Leitlinie ein.
Im Gegensatz dazu zeigen Studien zur Klangtherapie oder Noiserbehandlung keine Überlegenheit gegenüber Placebo oder Beratung. Wegen mangelnder Evidenz sind Rauschgeneratoren laut Leitlinie nicht empfohlen, zumal möglicherweise schädigende Effekte auf die Hörbahn durch die konstante Schallstimulation nicht ausgeschlossen sind. Hör- oder Audiotherapie stellen einen weiteren Baustein bei der Tinnitusbehandlung dar. Dabei wird mit verschiedenen Techniken das Überhören des Tinnitus geübt.
Da es nur wenige methodisch einwandfreie Studien zur Behandlung von chronischem Tinnitus ausschließlich mit Hörgeräten gibt, ist die Evidenz bisher mäßig bis schwach. Häufig tauchen die Hörgeräte als Teil einer multimodalen Therapie in den Studien auf. Zudem ist die Anpassung von Placebohörgeräten kaum möglich. Insgesamt erschweren fehlende Evidenz und heterogene Studienlage, dass die Hörgeräteversorgung bei der Indikation Tinnitus generell empfohlen wird, bedauern die Autoren, obwohl die Wirksamkeit in einer Vielzahl von Studien belegt wurde.
Die Studienlage für den Einsatz von Hörgeräten in der Tinnitusbehandlung wird besser, schreiben die Autoren. Leider werden aber häufig verschiedene Modelle von Hörgeräten miteinander verglichen und die unterschiedlichen Studiendesigns erlauben keine Rückschlüsse auf den generellen Effekt der Hörgerätetherapie.
Quelle: Hesse G, Kastellis G. HNO 2023; 71: 656-661; DOI: 10.1007/s00106-023-01333-7