Osteoporose: Nur jeder Fünfte wird leitliniengerecht behandelt
Rauchen Sie? Sind Sie in den letzten zwölf Monaten mehrmals gestürzt? Mit insgesamt 21 solcher Fragen versuchen Privatdozent Dr. Carl Neuerburg und Kollegen von der Klinik für Allgemeine, Unfall- und Wiederherstellungschirurgie am Klinikum der Universität München die erste große Hürde in der Osteoporose-Therapie zu überwinden: diejenigen Patienten herauszufiltern, die sie bekommen sollten. Zu viele Osteoporose-Patienten erhalten in Deutschland nicht die richtige Therapie und das Problem beginnt damit, dass sie zu oft übersehen werden.
In einer chirurgischen Ambulanz gilt es, vor allem einer Art Patienten besondere Aufmerksamkeit zu schenken: älteren Menschen, die mit Knochenbrüchen eingeliefert werden. Laut dem Autor sollte man sich bei ihnen zunächst einmal folgende Frage stellen: Liegt eine Indikationsfraktur vor – sprich, sind Wirbelkörper, proximaler Femur, proximaler Humerus oder distaler Radius betroffen? Lautet die Antwort ja, ist das bei Frauen ab 50 und Männern jenseits der 60 schon für sich genommen das Startsignal für eine genauere Osteoporose-Abklärung. Bei typischen proximalen Femurbrüchen braucht es nicht einmal die Knochendichtemessung, um in der Folge die Indikation für die medikamentöse Therapie zu stellen.
Fast 8 Millionen Betroffene
Knochen aller Frauen über 70 und Männer über 80 checken
Für Patienten ohne Fraktur oder zumindest ohne Indikaturfraktur gilt laut den Autoren: Frauen über 70 und Männer über 80 sollte man immer auf die Krankheit untersuchen. Jüngeren Patienten legen die Münchner Experten einen eigens entwickelten Risikofragebogen vor. Um die individuelle Frakturgefahr zu ermitteln, seien jedoch auch andere Instrumente geeignet, schreibt das Autorenteam, wie das Fracture-Risk-Assessment-Tool (FRAX), der Q-Fracture-Score und das Risikomodell des Dachverbands Osteologie (DVO). Liegt das individuelle Knochenbruchrisiko gemäß diesen Schätzungen für die nächsten 10 Jahre bei über 20 %, wird eine Osteoporose-Basisdiagnostik eingeleitet. Dazu gehört zunächst einmal die Fahndung nach allem, was die Frakturgefahr verschärfen könnte: Denn das Vorhandensein von solchen Risikofaktoren verändert den T-Wert, das Ergebnis der Knochendichte-Messung, ab dem laut Leitlinie mit der medikamentösen Therapie begonnen wird. „Der T-Wert bildet in Zusammenhang mit Patientenalter und den individuellen Risikofaktoren die Basis zur Entscheidung für eine spezifische Osteoporose-Therapie“, so die Autoren. Soll heißen: Diese Parameter bestimmen über das Ja oder Nein zum Einsatz von Medikamenten. Eine positive Frakturanamnese hebt beispielsweise die T-Wert-Therapiegrenze um 1,0. Kein Wunder: Beim Vorliegen mehrerer Brüche liegt das Risiko für einen weiteren bei bis zu 85 %. Als nächsten Schritt in der Basisdiagnostik sieht die Leitlinie ein osteologisches Basislabor vor: Gibt es unbekannte Begleiterkrankungen? Liegen Stoffwechselveränderungen vor, die in Bezug auf den Knochenstoffwechsel eine Rolle spielen könnten? Hyperparathyreoidismus, Nierenstörungen oder Gammopathien sollten spätestens hier auffallen.Auf frühere asymptomatische Wirbelkörperbrüche achten
Bei der klinischen Untersuchung, dem dritten Bein der Osteoporoseprüfung, gilt es, vor allem auf frühere asymptomatische Wirbelkörperbrüche zu achten. Sind entsprechende morphologische Veränderungen zu entdecken, sollte eine radiologische Diagnostik erfolgen. Teil vier des Osteoporose-Checks ist schließlich die Knochendichte-Messung mittels DXA. Anschließend sind alle Daten vorhanden, um die Indikation zu einer Therapie zu stellen – oder sich mit guten Gründen dagegen zu entscheiden.Quelle: Neuerburg C et al. internistische praxis 2019; 60: 187-198