Umwelt-Angriff auf das ZNS Pestizide und Klimawandel begünstigen neurologische Erkrankungen

DGN 2024 Autor: Friederike Klein

Durch „Precision Farming“ – u. a. mithilfe von Drohnen – könnte der Pestizidverbrauch künftig wieder sinken. Durch „Precision Farming“ – u. a. mithilfe von Drohnen – könnte der Pestizidverbrauch künftig wieder sinken. © Антон Скрипачев - stock.adobe.com

Der menschliche Organismus muss sich mit zahl­reichen Umwelteinflüssen auseinandersetzen. In jüngerer Zeit kommen anthropogen verursachte oder verstärkte Gefahren hinzu – etwa der immer noch zunehmende Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel und häufiger auftretendes Extremwetter.

Allein seit dem Jahr 2000 haben 13 Metaanalysen ergeben, dass eine Exposition gegenüber Pestiziden das Parkinsonrisiko signifikant erhöht. Das berichtete die Neurologin Dr. Eva Schäffer vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel. Damit zählt chemischer Pflanzenschutz zu einer wachsenden Zahl an menschengemachten Risikofaktoren für neurologische Erkrankungen. In diesem Jahr wurde vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales die wissenschaftliche Empfehlung für eine neue Berufskrankheit „Parkinson-Syndrom durch Pestizide“ beschlossen. Die Anerkennung der Berufskrankheit kommt bei Personen in Betracht, die langjährig im beruflichen Kontext die Pflanzenschutzmittel angewendet haben.

Der Zusammenhang sei auch biologisch plausibel, erläuterte Dr. Schäffer. Die häufig eingesetzten Pestizide Rotenon und Paraquat werden sogar experimentell zur Entwicklung von Parkinson-Tiermodellen benutzt, da sie selektiv toxisch auf dopaminerge Neurone der Substantia nigra wirken. Eine Intoxikation mit den Pestiziden führt beim Menschen zu akutem Parkinsonismus.

Wetterextreme erhöhen die Schlaganfallgefahr

Der Klimawandel verstärkt Wetterextreme, indem er die Intensität von Hitzewellen erhöht und durch Veränderungen in der atmosphärischen Zirkulation auch ungewöhnliche Kälteperioden begünstigt. Beides erhöht das Schlaganfallrisiko, wie epidemiologische Studien zeigen. So ist ein rascher Temperaturrückgang um 2–3 ˚C pro Tag mit einem etwa 11%igen Anstieg der ischämischen Schlaganfallinzidenz assoziiert, berichtete Dr. Michael Ertl vom Universitätsklinikum Augsburg. Das Risiko ist nicht nur am selben Tag, sondern noch bis zu zwei Tage danach erhöht. Änderungen von Temperatur und Wetter sind dabei entscheidender als die Absolutwerte.
Dr. Alexandra Schneider vom Institut für Epidemiologie am Helmholtz-Institut in München wies darauf hin, dass das Risiko für ischämische Schlaganfälle und transient ischämische Attacken (TIA) auch bei besonders kalten Tagen und Nächten in der warmen Periode von Mai bis Oktober erhöht sei. Während Hitzeperioden scheinen vor allem hohe nächtliche Temperaturen der wesentliche Faktor für ein erhöhtes Schlaganfallrisiko zu sein. Besonders betroffen sind ältere Menschen und Frauen.

Veränderungen auf der Darm-Gehirn-Achse

Pestizidassoziierte Veränderungen gibt es auch auf der Mikrobiom-Darm-Gehirn-Achse, die für die Parkinsonkrankheit eine wichtige Rolle spielt. Im Tiermodell führten Rotenon und Paraquat zu einer proinflammatorischen Dysbiose und einer Störung der Darmbarriere. Auch ein Effekt auf das enterische Nervensystem wurde beschrieben, mit einer gastrointestinalen Dysfunktion und einer intestinalen α-Synuclein-Aggregation, die sich über den Nervus vagus ausbreiten kann. 

Dr. Schäffer geht davon aus, dass auch das viel diskutierte Totalherbizid Glyphosat – dessen Genehmigung von der EU-Kommission zuletzt 2023 um weitere zehn Jahre verlängert wurde – das Gehirn schädigen kann. Im Tiermodell wurden direkte Effekte auf dopaminerge Neurone beobachtet, und auch bei Glyphosat gibt es Fälle von Parkinsonismus nach Intoxikation.

Dabei dürfte Dr. Schäffer zufolge ebenfalls die Darm-Gehirn-Achse eine Rolle spielen. Das Herbizid beeinflusst den Shikimat-Weg, den es beim Menschen nicht gibt. Das ist der Grund dafür, warum Glyphosat als relativ sicher gilt. Dieser Stoffwechselweg ist aber für etwa 54 % der Bakterien des menschlichen Darmmikrobioms essenziell. Daher rechnet Dr. Schäffer auch bei Glyphosat-Exposition mit einer intestinalen Dysbiose. Durch die dadurch ausgelöste gestörte Darmbarriere können Pestizide einfacher in den Körper eindringen, systemisch zirkulieren und die Blut-Hirn-Schranke überwinden, um im ZNS ihre schädigende Wirkung zu entfalten.

Global ist die Parkinsonkrankheit die neurologische Erkrankung mit den am schnellsten wachsenden Fallzahlen: Die Prävalenz hat alterskorrigiert zwischen 1990 und 2017 um 16 % zugenommen. Der Anstieg der Inzidenz erfolgte parallel zur steigenden globalen Pestizidnutzung, so die Referentin.

Die WHO hat bereits 2022 gefordert, alle mit der Entstehung von Parkinson assoziierten Pestizide und Chemikalien zu verbieten und sichere Alternativen zu entwickeln. Ein sofortiges Verbot hält Dr. Schäffer jedoch für unrealistisch. Daher rät sie zu individuellen Schutzmaßnahmen wie Handschuhen, Schutzkleidung und Masken. Auch müsse intensiver als bisher über das Risiko aufgeklärt werden.

Dringend nötig wären der Expertin zufolge Studien und Monitoring zur nichtberuflichen Exposition. Bislang ist unklar, wie hoch das Parkinson-Risiko durch eine Pestizid-Exposition beispielsweise für Menschen ist, die im ländlichen Umfeld leben. In Anbetracht des möglichen Pathomechanismus über den Darm rät Dr. Schäffer dazu, zum Selbstschutz das Mikrobiom zu stärken und mit gesunder Ernährung einer inflammatorischen Dysbiose entgegenzuwirken.

Quelle: 97. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie