Interview Prof. Dr. Anke Reinacher-Schick über die Tätigkeiten der AIO und deren 19. Herbstkongress

AIO-Herbstkongress 2022 Autor: Dr. Judith Besseling

Im Interview berichtet Prof. Dr. Anke Reinacher-Schick von den Tätigkeiten des AIO-Herbstkongresses. Im Interview berichtet Prof. Dr. Anke Reinacher-Schick von den Tätigkeiten des AIO-Herbstkongresses. © ellagrin – stock.adobe.com

Traditionell berichten wir in unserer Dezemberausgabe vom AIO-Herbstkongress. Da Redaktionsschluss und Tagung in diesem Jahr zusammenfallen, haben wir umgeplant und vorab mit der Vorsitzenden, Prof. Dr. Anke ­Reinacher-Schick, gesprochen. Lesen Sie im Interview, welchen Fokus die AIO in diesem Jahr setzt.

Schon der DKK stand unter dem Motto „Schnittstellen zwischen Innovation und Versorgung“. Auch Sie widmen sich den „Schnittstellen“. Was erwartet Mediziner:innen zu diesem Thema auf dem AIO-Herbstkongress? 

Prof. Dr. Anke Reinacher-Schick: Innovationen in die Versorgung zu bringen, ist ein Themenbereich mit unglaublich vielen Facetten und Schwerpunkten. Auf dem Herbstkongress werden hier viele Aspekte, z.B. bei der Interdisziplinarität, der transsektoralen Kommunikation und der Zusammenarbeit und Mitgestaltung durch Patient:innen diskutiert werden. Außerdem werden wir die spannenden Registerprojekte der AIO und deren Stellenwert bei der wissengenerierenden Versorgung im Rahmen unseres politischen Forums vorstellen und besprechen.

Worauf freuen Sie sich persönlich besonders?

Prof. Dr. Reinacher-Schick: Besonders erfreut bin ich darüber, dass auf dem Herbstkongress der persönliche Austausch mit Kolleg:innen wieder möglich sein wird, um neue Projekte zu diskutieren und zu entwickeln. Nur über gute interdisziplinäre Zusammenarbeit und in Kenntnis der Sichtweise der Netzwerkpartner:innen können wir Projekte und Abläufe zugänglich und effektiv gestalten und Akzeptanz sowie Transparenz weiter verbessern. 

Virtuelle Sitzungen können die persönliche Interaktion, Gespräche und Treffen am Rande nicht ersetzen. Jungen Kolleg:innen vor Ort zu begegnen und ihre Sichtweise auf den Kongress und die präsentierten Themen zu erfahren: Das wird es ermöglichen, die AIO für die – zunehmend auch digitale – Zukunft so aufzustellen, dass Wissenschaftler:innen hier eine Umgebung finden, in der sie Projekte und Visionen aktiv umsetzen und vorantreiben können.

Das Jahr neigt sich dem Ende zu. Wir würden gerne zurückschauen: Welche Studie hat Sie 2022 besonders beeindruckt?

Prof. Dr. Reinacher-Schick: Als Klinikerin mit langjährigem Schwerpunkt in der Behandlung von Patient:innen mit kolorektalem Karzinom, waren die Daten von Dr. Myriam Chalabi aus der NICHE-2-Studie besonders beeindruckend. Ein neoadjuvanter präzisionsonkologischer Ansatz mit überschaubarem Risikoprofil für die Betroffenen, der dazu führen könnte, dass für die untersuchte molekulare Subgruppe die Toxizität aus der adjuvanten Behandlung vielleicht verzichtbar wird. Das würde für Betroffene mit MSI-H-Tumoren wirklich eine große Verbesserung in der Behandlung bedeuten. 

Über Netzwerkstrukturen und Plattformen setzen wir uns in der AIO in kooperativer Zusammenarbeit dafür ein, dass präzisionsonkologische Ansätze für möglichst viele Patient:innen verfügbar werden. Real-Word-Daten können hier ebenfalls einen wichtigen Beitrag leisten. Auch in diesem Bereich bemühen wir uns, Projekte voranzubringen, welche Betroffene aktiver einbinden und die Vernetzung verbessern, damit hoffentlich die Datenqualität zeitnah gesteigert und wertvoll ergänzt werden kann. 

Welche AIO-Studien haben in diesem Jahr Erkenntnisse für die Praxis geliefert?

Prof. Dr. Reinacher-Schick: Die Ergebnisse der Neonax-Studie zur neoadjuvanten Therapie bei Patient:innen mit resektablem Pankreaskarzinom, in die auch wir an unserem Standort in Bochum viele Patient:innen eingeschlossen haben, zeigen, dass auch komplexe, innovative Behandlungsansätze über eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit umsetzbar sind. Es motiviert mich, unser Engagement in der Krebsforschung weiter fortzusetzen, wenn alle Beteiligten bei guten Konzepten bereit sind, auch etablierte Therapiealgorithmen unter neuen Ansätzen und Gesichtspunkten zu evaluieren. 

Sie betonen in Ihrer Einladung, dass der Herbstkongress jungen Kolleg:innen eine gute Möglichkeit bietet, um sich mit der AIO-Studienarbeit vertraut zu machen. Gibt es spezielle Programmpunkte für die Nachwuchs-Onkolog:innen?

Prof. Dr. Reinacher-Schick: Die Young Medical Oncologists (YMO) sind als interdisziplinäre Arbeitsgruppe seit mehreren Jahren ein fester Bestandteil der AIO. Sie umfassen als Zukunftsinitiative die Integration junger Onkolog:innen in die klinische Forschung sowie deren Unterstützung im Rahmen klinischer wie wissenschaftlicher Aus- und Weiterbildung. 

Aus dieser Nachwuchsförderung resultiert die (Mit-)Verantwortung für größere, multizentrische und oftmals ressourcenintensive klinische Projekte, welche zu einer regelhaften Publikationstätigkeit junger Kolleg:innen führt. Eine gezielte Projektförderung durch etablierte Expert:innen kann hierbei eine solide Grundlage für eine wissenschaftliche Aktivität darstellen, welche wiederum eine Zukunftssicherung für die AIO ­darstellt. 

Während des diesjährigen AIO-Herbstkongresses steht neben den regulären YMO-Meetings (YMO meets Vorstand und YMO-Arbeits­treffen) am Samstagmorgen eine „AIO/AEK joint translational research session“ der YMO gemeinsam mit der AIO-Arbeitsgruppe Translationale und Molekulare Onkologie auf dem Programm. Diese Sitzung wird verschiedene Möglichkeiten der Projektdurchführung, aber auch die Nachwuchsförderung zum Inhalt haben. 

Besonders erfreut sind wir darüber, dass in diesem Jahr der Young Scientist Award der AIO bereits zum zweiten Mal vergeben werden konnte als Auszeichnung für die beste Publikation aus den Reihen der YMO. 

Was hat sich die AIO für das nächste Jahr vorgenommen?

Prof. Dr. Reinacher-Schick: Eines unserer Ziele bleibt weiterhin, Projekte der Spitzenforschung interdisziplinär und in engem Austausch, insbesondere mit dem BNHO, unserem Partner aus der Niederlassung, zu konzipieren und für die breite Versorgung umzusetzen. Wir erwarten auch in 2023 Daten aus international sichtbaren Studien, die sich als „practice changing“ auswirken könnten. Dadurch können wir den Studienstandort Deutschland weiter verbessern. 

Der Ausbau von Netzwerken, z.B. in Form von (molekularen) Regis­terprojekten, wird ebenfalls weiter vorangetrieben, um Zugangsbarrieren zu verringern und die Verzahnung zwischen den Disziplinen und Versorgungssektoren weiter zu verbessern. Transsektoral werden wir ebenfalls die Zusammenarbeit ausbauen. Die Digitalisierung bietet dafür umfassende Optionen, die es uns ermöglichen werden, Daten aus Studien und der Versorgung nutzbar zu machen, um letztlich die Versorgung von Krebspatient:innen stetig zu verbessern. Dazu gehört auch, zukünftige Generationen von Forschenden und Onkolog:innen für die klinische Forschung zu begeistern und ihnen Ressourcen für diese Tätigkeit zur Verfügung zu stellen.

Quelle:
Interview: Dr. Judith Besseling

Prof. Dr. Anke Reinacher-Schick,
St. Josef-Hospital,
Klinikum der Ruhr-Universität Bochum;
Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft 
Internistische Onkologie in der DKG e.V. Prof. Dr. Anke Reinacher-Schick, St. Josef-Hospital, Klinikum der Ruhr-Universität Bochum; Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Internistische Onkologie in der DKG e.V. © Katholisches Klinikum Bochum