Erbliches Kolonkarzinom: Früherkennung teilweise schon im Jugendalter ratsam
Eltern, Geschwister und Kinder von Darmkrebspatienten tragen ein mindestens zwei- bis dreimal so hohes Risiko wie die Allgemeinbevölkerung, ebenfalls an diesem Tumor zu erkranken. Daher sollten sie die reguläre Vorsorge bereits spätestens mit Anfang bis Mitte 40 wahrnehmen.
Schätzungsweise 3000 der jährlich etwa 60 000 Darmkrebs-Neuerkrankungen in Deutschland lassen sich auf erbliche Faktoren zurückführen. Meist handelt es sich um das hereditäre nicht-polypöse Kolonkarzinom (HNPCC) bzw. Lynch-Syndrom, gefolgt von adenomatösen Polyposis-Syndromen. Diese verursachen oft schon weit vor dem 70. Lebensjahr Tumoren. Umso wichtiger ist es, Risikopersonen frühzeitig zu erkennen, zu beraten und engmaschig zu überwachen, schreiben der Humangenetiker Professor Dr. Klaus Zerres und Kolleginnen vom LADR Laborzentrum Recklinghausen in einem Übersichtsbeitrag.
Ein Darmtumor infolge des Lynch-/HNPCC-Syndroms lässt sich klinisch nicht von sporadischen Formen unterscheiden. Die Betroffenen tragen aber ein hohes Risiko für weitere Tumoren, darunter im Endometrium und den Ovarien, im Magen, Dünndarm sowie im Urothel. Zudem erkranken sie im Median bereits mit 44 Jahren, selten vor dem 25. Lebensjahr.
Pathogene Mutation nur im Tumormaterial nachweisbar
Ursache ist eine pathogene Mutation in einem oder mehreren Mismatch-Repair-Genen. Fehler bei der DNA-Vervielfältigung werden dadurch nicht korrigiert, was häufig als sogenannte Mikrosatelliteninstabilität (MSI) im Tumorgewebe auffällt. Verwandte ersten Grades sind mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 % ebenfalls Träger dieser Variante und damit Risikopersonen. Schon das Vorliegen der anamnestischen Amsterdam- oder Bethesda-Kriterien (s. Tabelle) in der Familie rechtfertigt bei ihnen Koloskopieintervalle von drei bis fünf Jahren – auch wenn eine MSI in der Familie nicht nachgewiesen wurde.
Liegt ein Lynch-Syndrom vor?
Amsterdam-Kriterien (alle Punkte müssen zutreffen) | Revidierte Bethesda-Kriterien (mind. ein Punkt muss zutreffen) |
---|---|
- mindestens eine Person plus zwei Verwandte mit Kolorektal-, Endometrium-, Dünndarm-, Ureter- oder Nierenbeckenkarzinom
| - Darmkrebspatient
- synchrones oder metachrones Kolorektal- bzw. HNPCCassoziiertes Karzinom
- Kolorektalkarzinom mit sogenannter MSI-H-Histologie vor dem 60. Lebensjahr |
Hunderte Darmpolypen mit Mitte Zwanzig
Unter den übrigen erblichen Kolorektalkarzinomen haben die familiäre adenomatöse Polyposis (FAP) und die MUTYH-assoziierte Polyposis (MAP) die größte Bedeutung. Sie führen fast immer zum Darmkrebs. Die FAP fällt vor allem durch die hohe Anzahl von Darmpolypen auf (Hunderte), die meist im Alter von 20–29 Jahren entstehen. Ursache ist in der Regel eine Mutation im APC-Gen. Betroffene Familien sollten humangenetisch beraten und den Risikopersonen möglichst schon ab dem zehnten Lebensjahr eine prädiktive genetische Diagnostik empfohlen werden. Liegt die Mutation vor oder lässt sie sich nicht ausschließen, sind jährliche Endoskopien des Rektosigmoids, bei Adenomfund auch des gesamten Kolons sinnvoll. Vom 25. Lebensjahr an sollte zudem der obere Verdauungstrakt regelmäßig untersucht werden. Bei der attenuierten Form (AFAP), bei der sich unter anderem die Mutation seltener nachweisen lässt, weniger Polypen auftreten und/oder der Krebs später entsteht, beginnt die Vorsorge im Alter von 15 Jahren. Bleibt diese unauffällig, solle man mit 20 erneut koloskopieren – und dann jährlich, so die Autoren. Klinisch ähnlich zur AFAP erscheint die MAP. Während aufgrund der autosomal-rezessiven Vererbung Kinder eines Erkrankten kein wesentlich erhöhtes Risiko haben, beträgt es für Geschwister 25 %. Daher sollten sie mit 18–20 Jahren eine humangenetische Beratung und Empfehlung zur genetischen Diagnostik erhalten. Homozygote, aber asymptomatische Mutationsträger sollten in diesem Alter auch die erste Koloskopie erhalten. Da Heterozygote zumindest ein geringfügig erhöhtes Risiko für Darmkrebs im Alter zu haben scheinen, ist für sie die vorgezogene zehnjährliche Vorsorge ab Mitte 40 ratsam.Quelle: Zerres K et al. Dtsch Med Wochenschr 2020; 145: 1337-1346; DOI: 10.1055/a-1154-7684