Tumorerkrankungen Schlechtere Versorgung bei Patienten mit kognitiver Beeinträchtigung führt zu schlechterer Prognose
Bei einer 45-jährigen Patientin mit Down-Syndrom fallen schleichende Symptome wie Gangunsicherheit und Schwäche der linken Körperhälfte auf. Es wird ein zerebrales Lymphom vermutet. Die Diagnostik erweist sich als ausgesprochen schwierig und verzögert sich aufgrund der Zurückhaltung der Patientin gegenüber ärztlichen Maßnahmen immer wieder. Als die Diagnose endlich steht, folgen intensivierte Chemotherapie und eine Reihe langer Klinikaufenthalte – was die Patientin, ihre Ärzte und alle übrigen Beteiligten immer wieder an ihre Grenzen bringt.
Eine solche Situation ist heute kein Einzelfall mehr, schreiben Dr. Tanja Sappok von der Universitätsklinik für Inklusive Medizin in Bielefeld und Kollegen. Im geschilderten Fall hatte die Frau mit dem bösartigen Gehirntumor Glück und erreichte die komplette Remission. Der Weg dorthin war aber steinig: MRT und Liquorpunktion waren nur unter Vollnarkose möglich. Längere Infusionen, Nebenwirkungen und die Aufenthalte im Krankenhaus tolerierte die Patientin schlecht. Nur mit festen Bezugspersonen, individuellen Anpassungen und dank der Unterstützung durch die Schwester der Patientin ließ sich die Therapie durchziehen.
In Deutschland leben ca. eine halbe bis eine Million Menschen mit einer Intelligenzminderung, berichten die Autoren. Daten zur Karzinomhäufigkeit bei diesen Menschen fehlen für unser Land. Eine große schwedische Studie mit Personen bis 43 Jahre ermittelte für diese Gruppe ein erhöhtes Krebsrisiko (Hazard Ratio 1,57). Zudem zeigen Daten, dass diese Menschen häufiger an der Tumorerkrankung sterben.
Der erhöhten Mortalität bei Krebs könnte eine genetische Prädisposition für Karzinome bei den Betroffenen zugrunde liegen. Bei etwa zwei Dritteln ist die Intelligenzminderung angeboren. Von einigen genetischen Syndromen weiß man, dass dieselben Gene, die ein Intelligenzdefizit bewirken, auch bestimmte Tumoren begünstigen. So haben Patienten mit Down-Syndrom ein erhöhtes Risiko für akute Leukämien und Hodenkrebs. Bei der seltenen Ataxia teleangiectatica erkrankt sogar jeder Vierte an Blutkrebs oder einem Lymphom. Zusätzlich können Lebensstilfaktoren wie eine sitzende Lebensweise, wenig körperliche Aktivität oder Übergewicht – die bei Menschen mit kognitiver Einschränkung häufiger vorkommen – das Krebsrisiko erhöhen, vermuten Dr. Sappok und Kollegen.
Bekanntermaßen nehmen Menschen mit Intelligenzminderung angebotene Früherkennungsuntersuchungen seltener wahr. Als Barrieren vermutet man Angst, Stress, fehlendes Wissen, mangelnde Einwilligungs- und Kommunikationsfähigkeit sowie eingeschränkte Mobilität. Auch erhalten diese Patienten nicht immer eine Therapie in demselben Umfang wie Menschen ohne die Beeinträchtigung.
Ungewöhnliche Verläufe, spezielle Krankheitsbilder
Bereits die Diagnostik stellt sich aufgrund der erschwerten Anamneseerhebung bei der eingeschränkten Kommunikations- und Introspektionsfähigkeiten der Betroffenen häufig als besonders herausfordernd und aufwendig dar. Zudem können die Krankheitsbilder und -verläufe ungewöhnlich sein. Häufig liegen auch zusätzliche körperliche Symptome wie Krampfanfälle, Spastiken oder gewisse sensorische Einschränkungen vor.
Hinzu kommt, dass Deutschland zum jetzigen Zeitpunkt schlecht gerüstet ist, was die angemessene Betreuung dieser speziellen Patientengruppe angeht, meinen Dr. Sappok und Kollegen. Zwar gibt es mittlerweile landesweit 50 sog. Medizinische Behandlungszentren für Erwachsene mit geistiger oder schwerer Mehrfachbehinderung (MZEB).
Dort finden aber lediglich Diagnostik und Behandlungserprobung statt, die eigentliche Therapie erfolgt in den Krebszentren. Die Autoren plädieren für eine enge Zusammenarbeit der beiden Institutionen. Vor allem würden mehr Daten zur Therapie von Krebs bei Menschen mit Intelligenzdefizit benötigt, um evidenzbasierte Empfehlungen geben zu können.
Quelle: Sappok T et al. Bundesgesundheitsbl 2024; DOI: 10.1007/s00103-024-03837-1