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Interview  „Keine Angst vor Leichter Sprache“

Autor: Dr. Miriam Sonnet

In einem Interview spricht Prof. Dr. Jeanne Nicklas-Faust über die Bedeutung der leichten Sprache. In einem Interview spricht Prof. Dr. Jeanne Nicklas-Faust über die Bedeutung der leichten Sprache. © FAHMI – stock.adobe.com
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„Schwere Sprache ist für Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung wie eine Treppe für einen Rollstuhlfahrer.“ So verdeutlicht Prof. Dr. Jeanne Nicklas-Faust, Ärztin und Geschäftsführerin der Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V. in Berlin, die Bedeutung der Leichten Sprache. Warum diese in der Medizin so wichtig ist und welche Regeln es zu beachten gilt.

Was versteht man unter Leichter Sprache?

Prof. Dr. Jeanne Nicklas-Faust: Leichte Sprache ist eine vereinfachte Sprache. Sie ist ein Instrument der barrierefreien Kommunikation und wurde aus der Praxis heraus entwickelt. Im Gegensatz zur Einfachen Sprache folgt die Leichte Sprache klaren Regeln.

Welche Regeln sind das?

Prof. Nicklas-Faust: In der Leichten Sprache werden zum Beispiel Fach- und Fremdwörter, Abkürzungen, Redewendungen, bildliche Sprache und komplizierte Prozentzahlen vermieden. Es ist wichtig, dass Ärzt:innen im Patient:innengespräch ihren Fachjargon verlassen und auf Verständlichkeit setzen. 

Texte sollen aus kurzen Sätzen und einfachen Wörtern bestehen. Zum besseren Verständnis werden Leichte-Sprache-Texte bebildert. Die Zielgruppe prüft alle Texte auf Verständlichkeit. Sowohl Übersetzer:innen als auch Prüfer:innen für Leichte Sprache werden hierfür zuvor qualifiziert. Leichte Sprache kommt auch in der gesprochenen Sprache zum Einsatz, bei Veranstaltungen gibt es zum Beispiel Simultanübersetzer:innen für Leichte Sprache. Vor allem gilt es, keine Angst vor Leichter Sprache zu haben. Auch wenn sie nicht perfekt erscheint, ist es immer besser, zumindest zu versuchen, sie zu benutzen, als es nicht zu tun.

Fortbildungen und Broschüren zu Leichter Sprache

Wann kommt Leichte Sprache in der Medizin zum Einsatz?

Prof. Nicklas-Faust: Schwere Sprache ist für Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung wie eine Treppe für einen Rollstuhlfahrer: Sie stellt eine Barriere dar und behindert eine Kommunikation auf Augenhöhe. Leichte Sprache ist in der Medizin deshalb auf vielen Ebenen wichtig, zum Beispiel im Gespräch mit den Patient:innen, in Broschüren, die Behandlungen und Krankheitsbilder erklären, auf Schildern in Praxen und Krankenhäusern. Wer nicht versteht, was ihm oder ihr fehlt, was passieren wird oder wer schlicht gar nicht zum Behandlungsraum findet, hat Angst und kann medizinisch nicht gut versorgt werden. 

Deshalb gibt es vielfältige Gesundheitsinformationen in Leichter Sprache, z.B. im Auftrag der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, vom Ärztlichen Zentrum für Qualität in der Medizin und verschiedene Gesundheitstexte auf patienteninformation.de, vom Gemeinsamen Bundesausschuss, vom Robert Koch-Institut zu COVID-19 und Diabetes sowie von der sächsischen Krebsgesellschaft. 

Das Problem: Die Nutzung in der Praxis ist noch nicht sehr verbreitet. Allerdings gibt es erste Aktivitäten, wie ein Projekt zur Leichten Sprache der Ärztekammer Nordrhein, die Informationen für Ärzt:innen zur Leichten Sprache beinhaltet.

Für welche Personengruppen ist Leichte Sprache gedacht?

Prof. Nicklas-Faust: Leichte Sprache richtet sich z.B. sowohl an Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung bzw. mit Lernschwierigkeiten als auch an funktionale Analphabet:innen. Von Letzteren gibt es rund 6 Millionen Menschen in Deutschland. Auch Personen mit geringen Deutschkenntnissen sind eine Zielgruppe. Darüber hinaus ist es wichtig, Menschen mit Beeinträchtigung selbst anzusprechen, und nicht ihre Begleitperson. Dabei sollten Erwachsene gesiezt und nicht geduzt werden.

Warum ist sie gerade in der Onkologie besonders wichtig?

Prof. Nicklas-Faust: In der Onkologie geht es für Patient:innen häufig zum einen um beunruhigende und teilweise unangenehme Untersuchungen, zum anderen um lebensverändernde Diagnosen mit eingreifenden Therapien. Deshalb ist es wichtig, dass die Betroffenen gut informiert und aufgeklärt sind, damit sie einerseits verstehen, was mit ihnen passieren soll und keine unnötigen Ängste haben müssen, und andererseits einwilligen und aktiv mitwirken können.

Wie häufig ist es in der Onkologie tatsächlich notwendig, auf Leichte Sprache zurückzugreifen?

Prof. Nicklas-Faust: Sie ist immer dann wichtig, wenn Patient:innen Inhalte besser verstehen sollen – neben Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung sind das, wie bereits erwähnt, unter anderem solche mit funktionellem Analphabetismus oder Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache. 

Darüber hinaus überschätzen Mediziner:innen, was Patient:innen in Aufklärungsgesprächen verstehen. Gerade dann, wenn es sie emotional berührt, was häufig in onkologischen Konstellationen der Fall ist.

Interview: Dr. Miriam Sonnet

Prof. Dr. Jeanne Nicklas-Faust,
Geschäftsführerin der 
Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V
Prof. Dr. Jeanne Nicklas-Faust, Geschäftsführerin der Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V © Lebenshilfe/Bernd Lammel