Alzheimer: Bereits leichte kognitive Beeinträchtigungen abklären
Eine Alzheimerdemenz entsteht nicht plötzlich im höheren Lebensalter. Sie schreitet vielmehr unbemerkt über Jahrzehnte voran – bis die kognitiven Ausfälle für jedermann augenfällig werden, schreibt ein Team aus Neurowissenschaftlern, Psychiatern und Geriatern um Professor Dr. Jonathan Liss vom Columbus Memory Center in einer Übersichtsarbeit. Auch wenn es bisher noch kein Medikament gibt, mit dem sich die Entwicklung zur Demenz zuverlässig aufhalten lässt, gibt es doch einige vielversprechende Wirkstoffkandidaten. Würde eines dieser Arzneimittel tatsächlich in frühen Stadien der Hirnleistungsstörung wirksam sein, sollten Ärzte und Gesundheitssysteme darauf vorbereitet sein, meinen die Autoren.
Stellschrauben: Lebensstil und Komorbititäten
Eine zeitige Diagnosestellung ist auch heute schon von großem Vorteil: Bei leichter kognitiver Einschränkung lassen sich viele Weichen noch richtig stellen, etwa mit Blick auf behandelbare Komorbiditäten und Risikofaktoren oder bei der Ernährung und dem Lebensstil. Im frühen Krankheitsstadium, wenn allenfalls uncharakteristische Vorzeichen der heraufziehenden Demenz bestehen, werden oftmals aber nicht die richtigen Entscheidungen getroffen, beklagen die Experten. Einer der Gründe hierfür dürfte sein, dass abnehmende Gedächtnisleistung und kognitiver Abbau vielfach noch immer vorschnell als unabänderliche Alterserscheinung angesehen werden.
Ein wichtiger Baustein in der Frühdiagnostik der Alzheimererkrankung könnten in Zukunft bestimmte Biomarker sein. Man geht heute davon aus, dass die Akkumulation von Beta-Amyloid und Tau-Protein im Gehirn entscheidend für die Pathogenese ist und dass dieser Prozess schon früh im Leben der Betroffenen seinen Anfang nimmt. Allerdings: Viele Menschen mit den entsprechenden Merkmalen entwickeln niemals eine Demenz. Kommen aber weitere unspezifische Marker einer Neurodegeneration hinzu, steigt das Risiko.
Das Auftreten milder kognitiver Beeinträchtigungen markiert den Eintritt in die symptomatische Phase der Erkrankung. Die Autoren empfehlen, bei entsprechender Vermutung die geschilderten und beobachteten Symptome zunächst durch spezielle Fragebogen zu objektivieren. Bestätigt sich der Verdacht, startet die erste Runde der diagnostischen Abklärung, in der die Krankheitszeichen exakt erfasst werden. Zu diesem Zeitpunkt sollte auch eine komplette neurologische und körperliche Untersuchung erfolgen.
Denn möglicherweise liegen den kognitiven Einschränkungen ganz andere Ursachen zugrunde, etwa zerebrovaskuläre Störungen oder bestimmte Medikamente wie Anticholinergika oder Sedativa. Auch psychiatrische Krankheiten müssen ausgeschlossen werden. Laboruntersuchungen sollten die Schilddrüsenfunktionsparameter ebenso umfassen wie die Blutspiegel von Vitamin B12 und Homocystein. Ein Differenzialblutbild gehört dazu, Stoffwechselparameter samt Kalzium- und Magnesiumwert sowie Leberfunktionstests und Entzündungsmarker, ebenso ein Hirn-MRT zum Ausschluss von Strukturschäden.
Bewegung und Sozialkontakte mindern kognitiven Abbau
Bleibt nach all diesen Untersuchungen der Verdacht auf eine neurokognitive Störung vom Alzheimer-Typ bestehen, folgt die zweite diagnostische Runde – möglichst bei einem Spezialisten. Sie besteht aus neurokognitiven Tests und einer volumetrischen MRT-Analyse, ggf. erweitert um spezifische PET*-Untersuchungen sowie eine Lumbalpunktion zum Nachweis von Beta-Amyloid, Tau-Protein, Phospho-Tau und zur Bestimmung des Amyloid-Tau-Index.
Was kann man Patienten mit leichter kognitiver Störung anbieten? Im Prinzip alles, was das Gehirn vor kognitivem Abbau zu schützen vermag: viel Bewegung und Sozialkontakte, gesunde Ernährung, Tabakverzicht, Einschränkung des Alkoholkonsums und die Behandlung von Risikofaktoren wie Hypertonie oder Diabetes. Auch gezieltes, kognitives Training kann gewisse Effekte haben.
* Positronenemissionstomographie
Quelle: Liss JL et al. J Intern Med 2021; DOI: 10.1111/joim.13244