Demenzdiagnostik Kortikal? Subkortikal? Frontal?
Aktuell leben in Deutschland zirka 1,8 Millionen Menschen mit einer Demenzdiagnose. Deren Zahl wird sich bis 2035 etwa verdoppeln, so die Schätzung. Schon heute zahlen die Krankenkassen jedes Jahr mehr als 5,6 Mrd. Euro für die Versorgung der Betroffenen. Dabei hängen die individuellen Kosten vom Ausmaß der kognitiven Defizite ab. Erreichen die Patienten im Mini-Mental-Status-Test noch mehr als 15 Punkte, schlägt die Behandlung jährlich mit rund 4.000 Euro zu Buche, rechnete Prof. Dr. Thomas Duning von der Klinik für Neurologie am Klinikum Bremen Ost vor. Werden weniger Punkte erreicht, sind es rund 86.000 Euro pro Jahr. Antidementiva machen von diesem Betrag allerdings nur 6 % aus.
Prof. Duning ist überzeugt davon, dass die Alzheimerkrankheit überdiagnostiziert ist, weil kognitiv eingeschränkte Menschen das Label Alzheimer oftmals ohne weitere Diagnostik angeheftet bekommen. Er empfahl bei der ersten Einschätzung eines Patienten auf die „neuropsychologische Handtasche“ zurückzugreifen. Mit ihrer Hilfe lässt sich eine Hypothese generieren, welche Form der Demenz vorliegt.
So zeigen Patienten mit kortikaler Demenz (klassisch: Alzheimer) Teilleistungsstörungen, z.B. Aphasie, Apraxie, mnestische Defizite und/oder eine gestörte Visuokonstruktion. Sie leiden an einer „Werkzeugstörung“, erläuterte Prof. Duning: Sie wollen sägen, aber ihre Säge ist nicht mehr vorhanden. Bei der subkortikalen Demenz (klassisch: vaskuläre Demenz) kommt es zu Störungen von Antrieb und Aufmerksamkeit sowie zur psychomotorischen Verlangsamung. Bildlich ausgedrückt: Wird der Patient aufgefordert, zu sägen, findet er zunächst auf seiner unaufgeräumten Werkbank das Werkzeug nicht. Wenn er es dann doch entdeckt, macht er einen exzellenten Sägeschnitt.
Die frontale Demenz kann durch eine Aphasie, gestörte Exekutivfunktionen und vor allem Verhaltensänderungen (gestörtes Sozialverhalten, Desinhibition) auffallen. Prof. Duning berichtete exemplarisch von einem älteren Mann, der in einem Café einen Eisbecher vom Nachbartisch leerlöffelte, weil er meinte, andere Gäste seien vor ihm bedient worden. Er geriet deswegen in eine Schlägerei, landete verletzt im Krankenhaus und via Unfallchirurgie in der neurologischen Ambulanz. Dort fiel eine Aphasie auf, zudem belästigte der Patient während des Anamnesegesprächs eine Medizinstudentin.
Demenzdiagnose nach ICD-10
- Es bestehen alltagsrelevante kognitive Defizite. Diese können die Domänen Gedächtnis, Orientierung, Aufmerksamkeit, Sprache, planerisches Handeln, Verhalten und Visuokonstruktion betreffen.
- Die Defizite halten seit mindestens sechs Monaten an und/oder verstärken sich.
- Das Bewusstsein des Patienten ist ungetrübt.
- Die Sinne sind im für die Person üblichen Rahmen nicht beeinträchtigt.
Besteht aufgrund der ersten Einschätzung der Verdacht auf eine bestimmte Demenzform, gilt es entsprechende Tests durchzuführen. Bei einer vermuteten amnestischen Variante der Alzheimerkrankheit z.B. sollte man orientierend das Gedächtnis prüfen, per Uhrentest visuokonstruktive Defizite abchecken und die Praxie testen. Prof. Duning riet dazu, immer nach exakt dem gleichen Schema zu verfahren, um sich selbst als Einflussvariable weitgehend herauszunehmen. Eine neuropsychologische Testung macht erst dann Sinn, wenn man aufgrund der erhobenen Befunde eine Hypothese generiert hat, welche Erkrankung vorliegt, betonte der Kollege. Entsprechend sollte man die Testung mit einer gezielten Fragestellung (z.B. „beginnender M. Alzheimer?“) veranlassen. Für die weitere Demenzdiagnostik verwies Prof. Duning auf die aktualisierte Demenzleitlinie, in der seiner Auffassung nach sehr gut zwischen den verschiedenen Demenzfomen differenziert wird.
Neu in dieser Leitlinie ist, dass künftig nicht mehr von mild cognitive impairment (MCI) gesprochen werden soll. Eine leichte neurokognitive Einschränkung ohne Alltagsrelevanz plus nachweisbare Biomarker ist nach Überzeugung der beteiligten Fachgesellschaften (mit Ausnahme der DEGAM) als beginnende Alzheimererkrankung zu werten. Prof. Duning betrachtet diese Änderung im Hinblick auf die zu erwartende Zulassung von Anti-Amyloid-Antikörpern als wegweisend.
Quelle: 16. Neurologie-Update-Seminar