Alzheimer-Diagnostik Erst der Mensch, dann das Labor
Im Jahr 2018 stellten das US-amerikanische National Institute of Aging und die Alzheimer’s Association eine rein biologische Definition der Alzheimerkrankheit vor. Sie beruht auf Biomarkern und kann sowohl in asymptomatischen als auch symptomatischen Stadien angewandt werden. Gedacht war sie für Forschungszwecke, führte aber zu Diskussionen und auch zu Herausforderungen in der klinischen Praxis, schreibt die International Working Group (IWG) unter Federführung des Neurologen Professor Dr. Bruno Dubois, Assistance Publique-Hôpitaux de Paris.
So können z.B. kognitiv unbeeinträchtige Personen durchaus Biomarker für eine Amyloid-beta- und Tau-Pathologie aufweisen und bis zu ihrem Tod keine alzheimertypischen Defizite entwickeln. Hinzu kommt, dass sich ein vermeintlich typisches Alzheimer-Biomarkermuster auch bei anderen neurodegenerativen Erkrankungen beobachten lässt. Angesichts dieser und weiterer Limitationen kommt die IWG zu der Einschätzung, dass die auf Biomarkern beruhende Definition der Alzheimerkrankheit nicht reif für den klinischen Einsatz und für die Diagnose von Personen ohne kognitive Einschränkung ist.
Sie rät dazu, die Diagnose der Alzheimerkrankheit klinisch-biologisch zu stellen. Vorliegen sollten sowohl ein spezifischer klinischer Phänotyp als auch Biomarker, die für pathologische Alzheimerveränderungen sprechen (Nachweis von Amyloid und Tau-Protein). Als spezifische klinische Phänotypen, die häufig mit der Alzheimerpathologie assoziiert sind, nennen die Experten das amnestische Syndrom vom hippokampalen Typ, die posteriore kortikale Atrophievariante und die logopenische Variante der primär progredienten Aphasie.
Die Diagnose „Alzheimerkrankheit“ kann man bei Patienten stellen, die die genannten häufigen Phänotypen plus eine positive Amyloid- sowie Tau-Pathologie aufweisen.
Plasma-Biomarker werden nicht empfohlen
Erst die Kombination dieser Marker gilt als spezifisch. Selbstredend sollte der untersuchende Arzt sowohl hinsichtlich der klinischen als auch der Biomarkerergebnisse eine entsprechende Expertise aufweisen.
Die IWG bevorzugt die Liquordiagnostik, da sie sowohl über Amyloid-beta als auch über Tau eine Aussage erlaubt und weniger kostet als die Amyloid-PET, die Tau-PET oder beide. Falls Kontraindikationen gegen eine Lumbalpunktion vorliegen, können PET-Untersuchungen zum Einsatz kommen. Plasma-Biomarker einer Beta-Amyloid- oder Tau-Pathologie werden derzeit für die klinische Praxis nicht empfohlen, da sie noch weiter standardisiert und validiert werden müssen. Ebenso wenig raten die Experten zur Untersuchung pathophysiologischer Biomarker bei kognitiv unbeeinträchtigten Personen, da sich der klinische Verlauf bei asymptomatischen Menschen mit positivem Biomarkerstatus aktuell noch nicht zuverlässig vorhersagen lässt.
Quelle: Dubois B et al. Lancet Neurol 2021; 20: 484-496; DOI: 10.1016/S1474-4422(21)00066-1