Seekrank an Land: Ursachen von Schwindel finden
Um die Ursache von Schwindel aufzudecken, muss man vor allem die richtigen Fragen stellen: In 80–90 % der Fälle führt allein schon die Anamnese zur Diagnose, die dann durch otoneurologische Tests abgesichert wird.
Berichtet ein Patient über Schwindel, gilt es zunächst, die Art der Beschwerden herauszufinden: Handelt es sich um Drehschwindel, Schwankschwindel oder um Benommenheit? Zu den drehenden Schwindelformen gehören u.a. der Lagerungsschwindel, der M. Menière und die vestibuläre Neuritis. Bei Schwankschwindel besteht vor allem der Verdacht auf eine Phobie, erklärte Professor Dr. Thomas Brandt vom Deutschen Schwindel- und Gleichgewichtszentrum in München.
Der nächste zu klärende Punkt betrifft die Attackendauer. Halten sie Sekunden bis Minuten (Vestibularisparoxysmie mit bis zu 30 Attacken pro Tag, Lagerungsschwindel), Minuten bis Stunden bis Tage (vestibuläre Migräne, M. Menière) oder Tage bis Wochen (Vestibulärneuritis) an?
Schwindel: genaue Anamnese führt zur Diagnose
Welche Trigger bzw. Einflussfaktoren gibt es? Für die bilaterale Vestibulopathie ist typisch, dass sie nur beim Gehen Probleme macht. Bei horizontaler Kopfdrehung verändern sich die Beziehungen zwischen Gefäß und Nerv, was zur Kompression des VIII. Hirnnerven und damit zur Vestibularisparoxysmie führen kann.
Tritt der Schwindel bei Kopfänderung relativ zur Schwerkraft auf, spricht dies für einen Lagerungsschwindel. Hat der Patient beim Husten oder Pressen Beschwerden, sollte man an eine Vestibularisparoxysmie und – selten – an eine Fistel denken und „schwindelt“ der Patient situationsabhängig, steckt zumeist eine Phobie oder eine andere somatoforme Schwindelform dahinter.
In welcher Achse verändert sich der Kopf?
Zu eruieren sind schließlich eventuell vorhandene Begleitsymptome wie Hörminderung, Tinnitus, Oszillopsien und neurologische Ausfälle, die auf eine Läsion im Hirnstamm oder im Kleinhirn hindeuten könnten. Aus den Antworten auf die genannten Schlüsselfragen ergibt sich dann die Differenzialdiagnose.
Paroxysmaler Lageschwindel: Typisch sind kurze Dauer des Drehschwindels, Lageabhängigkeit und Ermüdbarkeit. Der Auslöser liegt zumeist im hinteren Bogengang. Deutlich seltener besteht ein zentraler Lageschwindel und/oder Lagenystagmus
Für den Morbus Menière stellt neben der klassischen Trias Drehschwindel, Hörminderung und Ohrgeräusch der Ohrdruck ein wichtiges Zeichen dar. Zudem entwickeln 7 % der Betroffenen durchaus auch am Anfang ihrer Erkrankung „drop attacks“.
Drehschwindel und Hörminderung: An M.Meniére denken
Für die Diagnose einer vestibulären Migräne werden heute mindestens fünf Episoden mit vestibulären Symptomen mittlerer oder starker Intensität und mit einer Dauer von fünf Minuten bis 72 Stunden gefordert. Der Patient hat eine aktive oder frühere Migräne mit oder ohne Aura nach den Kriterien der ICHD*
Außerdem während mindestens 50 % der vestibulären Episoden migränetypische mittelschwere bis starke Kopfschmerzen (einseitig, pulsierend, durch körperliche Routineaktivität verstärkt) und/oder eine Photo- und Phonophobie und/oder eine visuelle Aura. Zudem lassen sich die Beschwerden nicht auf eine andere vestibuläre ICHD-Diagnose zurückführen.
Anhaltender Drehschwindel deutet auf eine vestibuläre Neuritis oder eine zentrale Pseudoneuritis hin. Ein Dreh- oder Schwankschwindel für Sekunden bis Minuten, der durch bestimmte Kopfpositionen ausgelöst oder modifiziert wird und mit Hypakusis oder Tinnitus einhergeht, kennzeichnet die Vestibularisparoxysmie. Eine weitere Ursache kann das Superior Canal Dehiscence Syndrome sein.
Schwankschwindel ohne begleitende Symptome: meißt Phobie
Hier steht der phobische Schwankschwindel an erster Stelle. Seltener liegt die bilaterale Vestibulopathie vor, bei der es zu einem bewegungsabhängigen Schwankschwindel und zu Gangunsicherheit kommt, die im Dunklen und auf unebenem Boden zunehmen und mit bewegungsabhängigen Oszillopsien einhergehen können. Die periphere vestibuläre Funktion ist beidseits reduziert, was sich unter anderem mit einem pathologischen Kopfimpulstest bemerkbar macht. Die Diagnose kommt nur infrage, wenn sich die Beschwerden nicht besser durch eine andere Erkrankung erklären lassen.
*International Classification of Headach Disorder
Quelle: Neurowoche, München, 2014