Hämatologische Spezialitäten Seltene Diagnosen

Autor: Dr. Susanne Meinrenken

Über Auffälligkeiten im Blutbild stolpert man als Ärztin oder Arzt häufig. Über Auffälligkeiten im Blutbild stolpert man als Ärztin oder Arzt häufig. © kamiphotos - stock.adobe.com

Seltene Blutbildveränderungen haben oft komplexe Ursachen. Experten betonen die Bedeutung von Anamnese und differenzialdiagnostischer Expertise. Spezielle Fälle wie Thalassämien, Neutropenien und seltene Anämien zeigen, wie entscheidend präzise Diagnostik für die Therapie ist.

Über Auffälligkeiten im Blutbild stolpert man als Ärztin oder Arzt häufig. So leben allein 25 % der Menschen weltweit mit einer Anämie. Meist lässt sich die Ursache schnell ausmachen, oder man hat zumindest eine plausible Vermutung. Knifflig wird es, wenn extrem seltene Krankheitsbilder differenzialdiagnostisch in Betracht kommen.
Um Fehlinterpretationen eines Blutbildes zu vermeiden, muss man sämtliche anamnestische Informationen und alle klinischen Daten in die differenzialdiagnostischen Überlegungen einfließen lassen. Kinder und auch Erwachsene mit seltenen pathologischen Veränderungen der Blutzellen und des blutbildenden Systems gehören primär in eine spezialisierte Klinik mit entsprechender Expertise, betonen Prof. Dr. Leo Kager, Medizinische Universität Wien, und Prof. Dr. Milen Minkov, St. Anna Kinderkrebsforschungsinstitut Wien.

Eisenmangelanämie oder Thalassämie?

Ursache einer Anämie als häufigster Zytopenie ist bei rund 50 % der Betroffenen Eisenmangel. Hämatologisch zeigt sich die Erkrankung als mikrozytäre hypochrome Anämie bei niedriger Erythrozyten- und Retikulozytenzahl. Bei Kindern mit der Anämie und hoher Erythrozytenzahl, die aus Malariagebieten stammen, wird man an eine heterozygote Thalassämie denken. Einen wichtigen Hinweis gibt in diesem Zusammenhang eine Erythrozytenverteilungsbreite < 15 %. 
Trägerinnen und Träger der β-Thalassämie stammen vorwiegend aus dem Mittelmeergebiet und Afrika, die einer α-Thalassämie eher aus dem asiatischen Raum, erläutern die beiden Autoren. Bei Letzteren sucht man nach Varianten im Hämoglobin-Gen HBA1/HBA2. Solche Mutationen weisen etwa 5 % der Weltbevölkerung auf. Veränderungen im HBB-Gen für die Untereinheit beta haben rund 1,5 %. Thalassämieträgerinnen und -träger  sind klinisch unauffällig.

Schwere Neutropenie

Mit etwa 1 % aller Kinder, allerdings häufiger bei Frühgeborenen, sind Neutropenien deutlich seltener als Anämien. Ursächlich ist oft eine Infektion oder Autoimmunerkrankung. Hervorzuheben ist die ethnische benigne Neutropenie, die rund 10 % der Kinder aus Afrika und aus arabischen Ländern aufweisen. Prof. Kager und Prof. Minkov berichten über den 16-jährigen Sohn afrikanischer Eltern, der ihnen wegen asymptomatischer Leukopenie (2,54 x 109/l Leukozyten) sowie schwerer Neutropenie (0,44 x 109/l Neutrophile) zugewiesen worden war.
Die benigne Neutropenie geht nicht mit vermehrten Infektionen einher. Ein deutlich verändertes Blutbild kann also auch ohne schwere Krankheitszeichen oder ganz ohne Symptome bestehen.

Schwere Thrombozytopenie

Die rein quantitativen Befunde irritierten zunächst auch bei einem sechs Monate alten Säugling mit schwerer Thrombozytopenie. Trotz einer Thrombozytenzahl von nur 3 x 109/l wies der Säugling kaum Petechien auf. Die Erklärung brachte der Blutausstrich mit Nachweis von Riesenthrombozyten, die bei der automatischen Laboranalyse nicht erfasst worden waren. Die Zählung per Mikroskop ergab einen Wert von 30 x 109/l Thrombozyten. Die Makrothrombozytopenie war Folge eines MYH9-Gendefekts.

STEC-HUS

Ein Blutausstrich führte auch bei einem acht Monate alten Säugling, der mit Durchfall und dem Verdacht auf akute lymphoblastische Leukämie überwiesen worden war, zur Diagnose. Bei Thrombozytopenie, erhöhter Leukozytenzahl sowie Anämie zeigten sich im Ausstrich Fragmentozyten. Schließlich ließ sich die Diagnose hämolytisch-urämisches Syndrom bei Infektion mit shigatoxinbildendem Escherichia coli (STEC-HUS) stellen.

Thiamin-responsible megaloblastäre Anämie

Eine seltene Erkrankung fand sich bei einem 30 Monate alten Jungen mit schwerer hyporegeneratorischer normozytärer Anämie (Hb-Wert 4,7 g/dl), niedriger Thrombozyten-, Leukozyten- und Neutrophilenzahl und dem Nachweis von Megaloblasten im Knochenmark. Unter Berücksichtigung der pathologisch erhöhten HbA1c- und Nüchternblutzuckerwerte wurde eine Thiamin-responsible megaloblastäre Anämie (TRMA) diagnostiziert. Die Gabe von Thiamin führte zur Normalisierung der Blut- und Glukosewerte. Eine begleitende Hörstörung besserte sich dadurch aber nicht.

Quelle: Kager L, Minkov M. Monatsschrift Kinderheilkunde 2024; 12: 1051-1057;doi: 10.1007/s00112-024-02073-w