„Sie sterben alle“
Ein Stück Papier – mit viel mehr Hilfe kann ein krebskrankes Kind in Eritrea aktuell nicht rechnen. Die Ausreiseerlaubnis wird den Eltern vom Gesundheitsministerium in die Hand gedrückt. Einen Arzt im Ausland und das Geld müssen sich diese dann selber organisieren.
Professor Dr. Uta Dirksen von der Universitätskinderklinik Essen hat so einen Fall erlebt. Ein Jahr brauchten die Eltern, bis es der Junge endlich zu ihr nach Deutschland schaffte. Vor allem die deutschen Behörden hatten ihnen Steine in den Weg gelegt – sie wollten das Kind zunächst nicht allein ins Land lassen. „Man kann nur von Glück sagen, dass er ein Hodgkin-Lymphom hatte“, sagt die Professorin für Pädiatrische Onkologie. Denn diese wachsen nicht so schnell.
Die Abteilung muss stehen, bevor behandelt wird
Vielen ergeht es anders: Geschätzte 500 Kinder erkranken jedes Jahr in dem afrikanischen Land an Krebs. Ihr Schicksal fasst Prof. Dirksen kurz und traurig zusammen: „Sie sterben alle“.
Fast zehn Jahre dabei
Wie hilft man, wenn man eigentlich nicht helfen darf?
Aus einem ähnlichen Grund will man zunächst auch nur Kinder mit einem Burkitt-Lymphom, einem Hodgkin-Lymphom oder einem Wilms-Tumor behandeln – alles Krankheiten, die in Deutschland fast hundertprozentige Heilungsraten haben. Schwere Komplikationen könnten zur Entmutigung der Partner führen, wie die Onkologin es ausdrückt. Erst später soll das Aufgabenfeld auch Erkrankungen wie Leukämien mit höheren therapieassoziierten Sterberaten umfassen. Momentan konzentrieren sich die deutschen Helfer darauf, ein solides Fundament für die Zukunft zu schaffen. Der nächste Besuch von Prof. Dirksen ist bereits geplant. Mit dabei wird neben einer jüngeren Kollegin auch ein Pharmakologe sein sowie zwei MTLA aus dem Essener Labor und einige Pflegekräfte. In Eritrea angekommen, wird man die einheimischen Kollegen bei ihren Besprechungen und Stationsvisiten begleiten, auch ein paar diagnostische Eingriffe sind geplant. Wichtigste Aufgabe sei aber die Ausbildung. In klassischen Unterrichtseinheiten, aber auch am Krankenbett wollen die Entwicklungshelfer die Pfleger, Laborkräfte und Ärzte vor Ort zu kinderonkologischen Fachleuten machen.Vertrauen schaffen – auf allen Ebenen
„Es ist sehr wichtig, dass die einheimischen Fachkräfte die Arbeit auch allein machen können“, betont Prof. Dirksen. Ein ausländischer Fachmann sei in Zukunft schließlich nicht immer in der Nähe. Das Stichwort Nachhaltigkeit steht bei dem Projekt ganz oben auf der Agenda. Dazu gehört es auch, auf allen Ebenen Vertrauen zu schaffen. Den Pharmazeuten und Pflegekräften müsse das Team aktuell zum Beispiel ihre „wahnsinnige“ Angst vor den Chemotherapeutika nehmen. „Sie dachten, wenn sie die Medikamente aufziehen, bekommen sie selber Krebs“, erzählt die Kinderärztin. Das müsse man ihnen jetzt erst einmal ausreden.Das Projekt ist bisher ein voller Erfolg
Trotzdem: Die Resonanz auf das Fortbildungsangebot ist sehr groß. Viele verzichten sogar oft auf ihre Freizeit, um mitmachen zu können. Allerdings gibt es auch die bitteren Stunden zu durchstehen, wie Prof. Dirksen es nennt. 16 krebskranke Kinder hat sie bei ihrem letzten Besuch in gerade einmal zwei Wochen kennengelernt, und keinem von ihnen durfte sie helfen. Das sei schwer zu ertragen. Es ist nur ein schwacher Trost, aber in mancherlei Hinsicht können die Eigenschaften der Eritreer die Entwicklungshilfe auch erleichtern. „Die Eritreer sind sehr sortiert, man könnte es fast preußisch nennen“, sagt die Ärztin. Alles werde notiert, alles mindestens dreimal nachgerechnet. Patienten, die ihre Behandlungstermine nicht einhalten? In Eritrea unvorstellbar.Medical-Tribune-Bericht