Hilfsprojekt PONTE: Klumpfuß-Behandlung in Eritrea
Das muss man wahrscheinlich ein Stück nachhaltige Entwicklungshilfe nennen: Klumpfüße selbst behandeln braucht Dr. Katja v. d. Busche schon lange nicht mehr, wenn sie mal wieder nach Asmara fährt. Ein- bis zweimal im Jahr besucht die Ärztin von der Klinik für Kinderchirurgie der Berliner Charité ihre PONTE-Ambulanz in der eritreischen Hauptstadt. PONTE steht für Pediatric Orthopedic Network in Eritrea. Drei Physiotherapeuten und ein Chirurg sind dort angestellt.
„Eigentlich schaue ich vor allem nach, ob alles richtig läuft“, erzählt die 46-Jährige, „ich bringe neues Material und die Löhne vorbei.“ Aber die eigentliche Arbeit, das Eingipsen der Beine zum Beispiel, um die Fußknochen wieder zurück in ihre natürliche Ordnung zu pressen, oder das Anpassen der Beinschienen, die den Erfolg langfristig sichern sollen, führt längst ein einheimisches Team durch.
Mehr als 13 Jahre ist es her, dass Dr. v. d. Busche als „Klumpfuß-Tante“, wie sie es selbst nennt, zu dem kinderorthopädischen OP-Team von Professor Dr. Peter Griss stieß. Inzwischen steht ihr Projekt längst auf eigenen Füßen. Wenn sie heute im Orotta Hospital ankommt, wird sie von manchen Patienten schon persönlich begrüßt, die sich im Flur vor dem kleinen Ambulanzraum drängen: „Hello Doctor, nice to see you again ...“ Man kennt sich.
Die Klumpfuß-Behandlung ist eine langwierige Therapie, da sieht man sich zwangsläufig wieder: Fünf- bis sechsmal müssen die Kinder mit ihren Eltern in den ersten Wochen zum Gipswechsel erscheinen, später dann alle 90 Tage zur Kontrolle und zur Korrektur der Schienen. Die müssen in den ersten drei Monaten Tag und Nacht und dann weitere vier Jahre lang im Bett getragen werden.
Am Anfang, erzählt die Ärztin – und es klingt, als könne sie es selbst kaum glauben –, kämen die Patienten fast alle wieder. Selbst wenn die Reise von der Landesgrenze nach Asmara ein, zwei Tage dauert. Die Probleme treten in der Regel erst später auf. Beispielsweise, wenn sich die Geschwister an der Stange zwischen den Beinen des Bruders im Gemeinschaftsbett blaue Flecken holen. Dann steigen leider immer wieder Eltern aus. Mit fatalen Folgen: Auf über 40 % schätzt die Kollegin die Rezidivrate in ihrem Projekt, in der Regel steckt eine solche schlechte Compliance dahinter. „Das kann einen schon traurig machen.“
Der Drink, den sich die Helfer gönnen, ist hart verdient
Aber auch das ist Medizin in der „Dritten Welt“. Neben den vielen schönen Seiten, die sie der Ärztin immer wieder bietet: den unmittelbaren Kontakt zum Patienten beispielsweise oder die Rückkehr zu einer Medizin, von der man früher vielleicht mal träumte, jenseits von allen strangulierenden Dokumentationszwängen.
Gipse und Schienen checken, ein bisschen Manöverkritik üben, vielleicht noch den ein oder anderen Mitarbeiter schulen – so sieht in der Regel Dr. v. d. Busches Arbeitstag in Eritrea aus. Wenn sie abends erschöpft und verschwitzt in ihr Hotel zurückmarschiert, ist der Drink, den sich die Helfer der zahlreichen Hilfsprojekte vor Ort gerne zusammen genehmigen, in der Regel hart verdient. Oft geht es schon am nächsten Morgen weiter.
70–90 Kinder behandelt das Team jährlich
Rund 250 Kinder kommen jedes Jahr in Eritrea mit einem angeborenen Klumpfuß zur Welt. Das Land misst zwar nur knapp über 12 000 Quadratkilometer, aber die Verkehrswege sind eine Katastrophe. Und so haben sich die PONTE-Mitarbeiter entschlossen, den Patienten entgegenzukommen. Drei Satellitenprojekte wurden außerhalb der Hauptstadt etabliert. Auch die wollen besucht sein. Alle Ambulanzen zusammengenommen behandeln Dr. v. d. Busche und ihr Team pro Jahr rund 70–90 Klumpfuß-Kinder. Insgesamt sind es in 13 Jahren mehr als 1000 Patienten gewesen.
Es ist vor allem Mund-zu-Mund-Propaganda, die die Eltern zu ihnen führt. Die beeindruckenden Erfolge der Behandlung haben sich herumgesprochen. Seitdem der Spanier Ignacio Ponseti Mitte der 1950er-Jahre die Klumpfuß-Therapie revolutionierte, lassen sich theoretisch 90–95 % der Kinder heilen. Auch bei PONTE setzt man auf seine Methoden. Selbst wenn es wegen eines Therapieabbruchs nicht gelingt, das Fußskelett dauerhaft gerade zu rücken: Die Kinder lernen zumindest wieder laufen – in Spitzfußstellung, aber in Schuhen, die auch normale Menschen kaufen.
Ponsetis Methode hat noch einen weiteren Vorteil. Sie ist billig, einfach und damit bestens für Entwicklungsländer geeignet. Es braucht nicht mehr als Gips, Schienen, die ein einheimischer Schuhmacher produziert, und ein Skalpell, um in lokaler Betäubung die oft notwendige transkutane Achillessehnen-Tenotomie durchzuführen. Das Jahresbudget von PONTE liegt bei gerade einmal 15 000 Euro.
Ein Hindernis ist es da schon eher, in Afrika kundiges Personal zu finden. Viele Ärzte, Schwestern und Physiotherapeuten haben sich in Eritrea längst in Richtung des gelobten Westens aufgemacht, wenn es sie denn überhaupt je gab. „Ich schätze, ich habe schon fast jedem Doktor im Land persönlich die Hand geschüttelt“, sagt Dr. v. d. Busche. Deshalb rührt sie in Sachen deutsche Helfer umso fleißiger die Werbetrommeln.
Kollegen steigen selten mit in den Flieger
Tatsächlich kämen auch immer wieder Kollegen auf sie zu, erzählt sie: „Du Katja, nimm mich doch mal mit.“ Aber die, die mit ins Flugzeug steigen, und dies vor allem auch noch ein zweites oder drittes Mal tun, sind an einer Hand abzuzählen. „Ich hab das Gefühl, ich habe es noch nicht ganz geschafft, mein kleines Projekt in die Autonomie zu führen“, sagt die Chirurgin etwas enttäuscht. Es hänge noch zu sehr an ihrer Person. Auch darum fährt sie jedes Jahr selbst wieder hin. Dabei würde sie doch so gerne einmal Pause machen.
Für PONTE hat die Kollegin allerdings weitere Träume. Da wäre zum Beispiel das eigene Ponteo-Mobil. Ein Bus oder Jeep, gefüllt mit Gips, Watte und Schienen, um noch näher an die Patienten heranzukommen. Und natürlich die ganz große Vision: „Erwachsene, die auf dem Fußrücken laufen und betteln müssen, die will ich in Eritrea nicht mehr sehen“, sagt Dr. v. d. Busche, das sei ihr Traum. Es scheint, als sei sie zumindest auf einem guten Weg dahin.
Quelle: Medical-Tribune-Bericht