Wie Konzerne in der medizinischen Versorgung von Entwicklungsländern mitmischen
Was hat Coca-Cola mit Arzneien zu tun? 1. Wer zu viel davon trinkt, hat ein erhöhtes Risiko für Adipositas und damit auch für Diabetes und braucht vielleicht irgendwann Insulin. 2. Das Unternehmen berät beim Projekt „Letzte Meile“ Regierungen in Entwicklungsländern, wie sie Medikamente in entlegene Gegenden transportieren können. Vermittelt hat das der UN-nahe Globale Fund zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria.
Ist diese Kooperation akzeptabel? Darüber gingen die Meinungen auf der Tagung „Öffentlich-Private Partnerschaften in der Globalen Gesundheit“ der Deutschen Plattform für Globale Gesundheit auseinander. Auch den wachsenden Einfluss von großen Stiftungen wie der Bill & Melinda Gates Stiftung beobachten Nichtregierungsorganisationen (NGOs) mit Sorge.
Wer entscheidet über Schwerpunkte?
Einerseits geht es heute global nicht mehr ohne die Unterstützung von Stiftungen und Unternehmen, sagt die Politikwissenschaftlerin Professor Dr. Anna Holzscheiter vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Andererseits würden z.B. Stiftungen viel weniger kontrolliert als NGOs, vor allem, wenn sie nur von einem einzelnen Stifter abhängen: „Stiftungen müssen keinerlei Rechenschaftsverpflichtungen darüber ablegen, wofür sie ihre Mittel verwenden.“ Und ob sie das fördern, was die Menschen in Entwicklungsländern am dringendsten brauchen.
Mareike Haase, Referentin für internationale Gesundheitspolitik bei „Brot für die Welt“ nennt ein Beispiel: „Stiftungen fördern gern Projekte, deren Effekte man direkt messen kann.“ Impfprogramme eignen sich dafür gut. „Für die Menschen vor Ort wäre aber oft der Aufbau einer Basis-Gesundheitsversorgung viel wichtiger.“ Aber das sei nicht so beliebt. Haase sieht in diesem Zusammenhang auch den jährlichen World Health Summit in Berlin kritisch. Dieser werde von der Pharmaindustrie mitfinanziert, und das präge die Ausrichtung: „Da geht es überwiegend um medikamentöse und instrumentelle Ansätze.“
Auch Prof. Holzscheiter kritisiert, dass Stiftungen oft auf einzelne Zahlen oder Schlagworte setzen: „Das führt zu einer Entpolitisierung der globalen Gesundheitspolitik.“ Etwa indem über die Verteilung von Geldern nicht mehr diskutiert werde.
Beispielweise bei der Kampagne „End polio now“. Die Zahl der Erkrankungen hier noch weiter gegen Null zu senken, erfordere viel Geld: „Da gibt es ein grobes Missverhältnis zwischen eingesetzten Mitteln und Ergebnis.“ Mit der Summe könnten möglicherweise an anderer Stelle viel mehr Leben gerettet werden: „Die Frage ist daher, wer entscheidet, wessen Leben gerettet werden?“
Besser nicht die Gates-Stiftung kritisieren
Auch Selbstzensur in der Wissenschaft habe sie erlebt, so Prof. Holzscheiter: „Ein Kollege aus den USA sagte mir, er könne nichts Kritisches über die Gates-Stiftung veröffentlichen, weil seine ganze Polio-Forschung davon abhänge.“
Haase kritisiert, dass die Gates-Stiftung nicht nur Projekte und Forschung finanziert, sondern auch Medien – also die, die die Entwicklung kritisch beobachten sollen. So haben BBC, Guardian, Al Jazeera, Daily Telegraph, Le Monde und Spiegel Online Geld von der Stiftung erhalten. Die Stiftung vergibt jährlich weltweit rund 4,7 Mrd. Euro (2017).
Die „offiziellen“ Vertreter auf der Tagung sahen das weniger kritisch. „Der Einfluss von Stiftungen ist nicht so groß wie gedacht“, sagt Dr. Christoph Benn, Director for Global Health Diplomacy am Joep Lange Institut in Amsterdam und ehemaliger Director External Relations beim Global Fund zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria. Diese hätten nur zwei von 20 Sitzen im Vorstand des globalen Fonds. Man hänge auch nicht von ihnen ab. Die Zuwendungen der Bill & Melinda Gates Stiftung etwa machten nur 4 % der Gesamteinnahmen aus: „Da gibt es keine dominierende Rolle.“
Ilse Hahn, Referatsleiterin im Bundesentwicklungsministerium, sagt: „Für uns ist der Aufbau der Basis-Gesundheitsversorgung nach wie vor das zentrale Element.“ Man sei sich aber bewusst, dass es Interessenkonflikte geben könne. „Mit der Gates-Stiftung haben wir die Spielregeln in einem Memorandum of Understanding klar festgelegt.“ Dazu ergänzte ein Arzt aus dem Publikum, dass ein Interessenkonflikt nicht erst dann vorliege, wenn tatsächlich Einfluss genommen wird: „Sondern auch dann, wenn nur die Gefahr besteht.“
Für Coca-Cola sind Kontakte zur Regierung sehr nützlich
Für die Unternehmen ergeben sich aus der Kooperation mit staatlichen oder UN-Gremien noch ganz andere Benefits, erläutert Haase: Sie bekommen dadurch oft direkte Kontakte zur Politik. Das sei für Coca-Cola oder Nestlé sehr wertvoll. „Diese Unternehmen können so ganz nebenbei Lobbyarbeit für ihre Interessen machen, etwa gegen eine Steuer auf Softdrinks.“ Letztere wird tatsächlich in vielen Entwicklungsländern diskutiert, denn Übergewicht und dessen Folgeerkrankungen sind auch dort auf dem Vormarsch. In Kenia etwa sind nichtübertragbare Krankheiten (NCDs) wie Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen die zweithäufigste Todesursache, nach Infektionskrankheiten.
In vielen afrikanischen Ländern versuchen daher NCD-Allianzen, den Einfluss von Softdrink-Firmen auf die Politik zurückzudrängen. Dr. Benn sieht dennoch kein grundsätzliches Problem in einer Zusammenarbeit mit Coca-Cola oder Unilever. Es würden ja keine Arzneien mit Coca-Cola-Lastern verteilt. Tatsächlich prangt das Logo des Unternehmens aber direkt neben dem Projekt-Logo auf Fahrzeugen, auf mehreren Projekt-Grafiken hält eine Hand eine Coca-Cola-Flasche. Dr. Benn ist trotzdem überzeugt: „Der Vorteil ist größer als das Risiko.“ Ausgeschlossen werde nur die Tabak- und Waffenindustrie. „Bei allen anderen Unternehmen muss im Einzelfall abgewogen werden.“
Medical-Tribune-Bericht