Multiple Sklerose Stille Progression dingfest machen
Schon länger weiß man, dass es bei Multipler Sklerose (MS) auch unabhängig von Krankheitsschüben zu progressiven Beeinträchtigungen kommt. Dieses Phänomen wird als PIRA (progression independent of relapse activity) bzw. als stille oder schubunabhängige Progression bezeichnet. Forscher um Dr. Jannis Müller vom Universitätsspital Basel versuchten in einer Metastudie, mehr über das Phänomen herauszufinden.
Das Team wertete 48 Publikationen aus. Ihre Ergebnsise sprechen dafür, dass es jährlich bei rund 5 % aller Patienten mit schubförmig-remittierender MS zu PIRA kommt und diese für mindestens 50 % der fortschreitenden Beeinträchtigung verantwortlich ist. Mit höherem Alter des Patienten und mit längerer Krankheitsdauer steigt der PIRA-Anteil an der Behinderungsprogression. Auch die Behandlungsart spielt eine Rolle: Hochwirksame Therapien reduzieren zwar die Anzahl von Schüben. In der Folge aber hat PIRA bei den so behandelten Patienten ebenfalls einen größeren Anteil an der Progression.
Insgesamt, so stellten die Forscher fest, ist PIRA der häufigste Grund für eine relevante Verschlechterung – und zwar bei allen klassischen Phänotypen der MS. Allerdings gibt es bislang keine einheitlichen Kriterien für die stille Progression. Die Autoren schlagen daher eine Definition vor, die sowohl bei RRMS als auch bei progressiven Verlaufsformen zur Anwendung kommen kann.
Der Ausgangswert für die jeweils aktuelle Beurteilung sollte dabei mitwandern („Roving Baseline“), und zwar immer dann, wenn ein veränderter EDSS*-Wert bei zwei Kontrollen bestätigt wird. Um als PIRA zu gelten, muss eine bestimmte Verschlechterung gegenüber diesem Ausgangswert ≥ 30 d vor oder ≥ 90 d nach dem Beginn eines Schubs beobachtet werden. Welches Ausmaß an Verschlechterung als relevant gilt, richtet sich nach dem Basiswert:
- Baseline 0 Punkte: ≥ 1,5 Punkte
- Baseline 1–5 Punkte: ≥ 1 Punkt
- Baseline ≥ 5,5 Punkte: ≥ 0,5 Punkte
Bestätigungsmessung nach frühestens drei Monaten
Als bestätigt gilt die PIRA, wenn der neue Wert nach frühestens drei Monaten erneut festgestellt wird. Da auch die stille Progression Schwankungen unterliegen kann, handelt es sich nur dann um eine dauerhafte Verschlechterung, wenn sich ≥ 12 Monate später keine relevante Verbesserung eingestellt hat.
* Expanded Disability Status Scale
Quelle: Müller J et al. JAMA Neurol 2023; DOI: 10.1001/jamaneurol.2023.3331